VG Gießen, Urteil vom 15.06.2021, Az. 9 K 5833/18.GI (GEZ-Befreiung bei geringem Einkommen)

Geringe Einkünfte können eine GEZ-Befreiung rechtfertigen, auch wenn man keine Sozialleistungen erhält.
Geringe Einkünfte können eine GEZ-Befreiung rechtfertigen, auch wenn man keine Sozialleistungen erhält.
Seit sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch Beiträge finanziert, gibt es kaum noch Möglichkeiten, einer Zahlungspflicht dauerhaft zu entgehen. Denn nun reicht es schon, in einer Wohnung zu wohnen, um für die Beiträge herangezogen zu werden – auf das Besitzen von Fernsehern, Radios oder anderen Empfangsgeräten kommt es nicht mehr an.

Allerdings gibt es einige Befreiungsgründe, die in § 4 Abs. 1 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RBStV) aufgelistet sind. Dies sind in erster Linie Personen, die Sozialleistungen wegen Bedürftigkeit beziehen, bspw. Sozialhilfe, Aufstockung im Alter oder Arbeitslosengeld II („Hartz IV“), nicht jedoch normales Arbeitslosengeld I oder Wohngeld.

Bisher ging man davon aus, dass lediglich Personen, die auch tatsächlich diese Sozialleistungen bekommen, befreit werden. Dass man die Leistungen zwar nicht bekommt, aber eigentlich Anspruch darauf hätte oder aus anderen Gründen auch nicht „reicher“ ist als ein Sozialhilfeempfänger, sollte kein Befreiungsgrund sein. Nur im extremen Sonderfall, dass man gerade so über der Grenze für Sozialleistungen verdient, nach Zahlung des Rundfunkbeitrags aber darunter liegt, sollte eine Befreiung aus Härtegründen möglich sein.

Nun ist das Verwaltungsgericht Gießen aber einen anderen Weg gegangen: Ein Härtefall und damit ein Befreiungsgrund soll auch dann vorliegen, wenn man zwar sehr wenig verdient, aber die Voraussetzungen für Sozialleistungen trotzdem nicht erfüllt.

In diesem Fall ging es um eine Person, die eine Berufsausbildung machte, aber wegen Überschreitens der Altersgrenze keine Ausbildungsförderung (BAFöG) bekam. Das Verwaltungsgericht hat nun entschieden, dass das Nicht-Beziehen von BAFöG nicht automatisch dazu führen darf, dass man den Rundfunkbeitrag zahlen muss. Sofern man genauso bedürftig ist wie jemand, der unterhalb der Altersgrenze liegt und BAFöG bekommt, hat man einen Anspruch auf Befreiung.

Allerdings bedeutet die Entscheidung wohl nicht, dass in jedem Fall bei geringem Einkommen vom Rundfunkbeitrag befreit werden kann. Hinzu kommen muss, dass man „eigentlich“ die Voraussetzungen einer bestimmten Leistung erfüllen muss, in dem Fall also das Arbeit in einem Ausbildungsverhältnis, sodass BAFöG zumindest theoretisch möglich ist.

Das Urteil wurde anonymisiert, insbesondere wurden Daten geschwärzt und Euro-Beträge gerundet. Rein technische Teile der Entscheidung (z.B. Vollstreckbarkeit, Rechtsmittelbelehrung) wurden weggelassen. Nach und nach wird eine detaillierte Erläuterung der Urteilsgründe erfolgen.

Der Bescheid des Beklagten vom XX.XX.2016 in der Form des Widerspruchsbescheids vom XX.XX.2018 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger ab dem XX.XX.2016 von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagte auferlegt.

(Vorläufige Vollstreckbarkeit)

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Befreiung von den Rundfunkgebühren durch Bescheid vom XX.XX.2016 in der Form des Widerspruchsbescheids XX.XX.2018.

Am XX.XX.2016 hatte der Kläger die Befreiung zur Beitragsnummer XXX beantragt unter Vorlage einer Miet- und Verdienstbescheinigung. Im Rahmen seines Ausbildungsverhältnisses, das am XX.XX.2015 begonnen hatte und dessen fachpraktischer Teil am XX.XX.2016 startete, erhielt er eine Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr in Höhe von ca. 720 Euro brutto und im zweiten Ausbildungsjahr in Höhe von ca. 780 Euro brutto. Zusätzlich erhielt der Kläger Wohngeld in Höhe von ca. 150 Euro.

Sein Befreiungsantrag wurde durch den Beklagten mit Bescheid vom XX.XX.2016 abgelehnt unter Hinweis auf die in § 4 Abs. 1 Rundfunkbeitragstaatsvertrag (RBStv) ausdrücklich aufgeführten Befreiungstatbestände. Da keiner dieser Befreiungstatbestände vorlänge, könne auch die gewünschte Befreiung nicht gewährt werden.

Am XX.XX.2016 hat der Kläger Widerspruch eingelegt unter Berufung auf das Vorliegen eines Härtefalls im Sinne von § 4 Abs. 6 RBStV. Er legte entsprechend der Aufforderung des Beklagten die Mitteilung der Bundesagentur für Arbeit vom XX.XX.2016 vor, wonach sein Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) gemäß § 56 ff. SGB Ill abgelehnt worden war. Die bereits im Widerspruchsverfahren Bevollmächtigte erläuterte, dass der Kläger keine Berufsausbildungsbeihilfe erhalte, weil die Ausbildung grundsätzlich nach BAFöG gefördert werde, dieses dem Kläger aber wegen Überschreitens der Altersgrenze nicht zustehe. Aufgrund der besonderen Konstellation im Falle des Klägers seien die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 4 Abs. 6 RBStV gegeben. Das Einkommen liege deutlich unter dem Satz der Sozialleistungen, die der Kläger aber wegen seines Ausbildungsverhältnisses nicht erhalten könne. Somit sei ein atypischer Fall und eine Härtefallsituation im Sinne des Gesetzes gegeben.

Durch Widerspruchsbescheid vom XX.XX.2018 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. § 4 Abs. 6 RBStV stelle keinen pauschalen Auffangtatbestand für diejenigen Personen dar, die keine der in Abs. 1 festgelegten Sozialleistungen beziehen würden. Ein atypischer Fall läge hier nicht vor; der Gesetzgeber wisse vom Kreis der Auszubildenden und hätte diesen – sofern dies gewollt gewesen sei – in Absatz 1 aufnehmen können.

Gegen die Ablehnung wendet sich der Kläger mit seiner Klage vom XX.XX.2018.

Der Kläger beantragt
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom XX.XX.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom XX.XX.2018 zu verpflichten, den Kläger ab dem XX.XX.2016 von der Pflicht zur Zahlung der Rundfunkbeträge zu befreien.

Der Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen Bezug genommen sowie auf den Inhalt der Erörterung in der mündlichen Verhandlung

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat auch inhaltlich Erfolg.

Die als Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthafte Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht innerhalb der einmonatigen Klagefrist gem. § 74 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO erhoben worden.

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Der Ablehnungsbescheid vom XX.XX.2016 sowie der Widerspruchsbescheid vom XX.XX.2018 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Der Beklagte hat zwar rechtsfehlerfrei einen Anspruch des Klägers auf Befreiung in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 4 Abs. 1 RBSIV abgelehnt. Er hat aber verkannt, dass der Begriff des besonderen Härtefalls gem. § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV auch Falle erfasst, in denen die Beitragsschuldner eine mit den Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt vergleichbare Bedürftigkeit aufweisen und dies im vorliegenden Fall zu einer Befreiung des Klägers von der Rundfunkbeitragspflicht führt.

Die Ablehnung des Antrags auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach Maßgabe von § 4 Abs. 1 RBStV ist rechtmäßig.

§ 4 Abs. 1 RBStV sieht einen Anspruch auf Befreiung aus sozialen Gründen vor. Voraussetzung hierfür ist, dass der Beitragsschuldner eine in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 und Nr. 10 Alt. 2 RBStV genannte Sozialleistung bezieht oder zu dem von § 4 Abs. 1 Nr. 9 und Nr. 10 Alt. 1 RBStV erfassten Personenkreis gehört und diese gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 RBStV durch eine entsprechende Bestätigung der Behörde oder des Leistungsträgers oder durch einen entsprechenden Bescheid nachweisen kann. Die Landesgesetzgeber haben sich mit der Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 1 RBStV für das normative Regelungssystem der sogenannten bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit entschieden. Dieses System haben sie bereits mit der Befreiungsregelung des bis zum 31.12.2012 geltenden § 6 Abs. 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RGebStV) vom 31.08.1991 eingeführt und beibehalten (vgl. zum früheren Recht: BVerwG, Urteil vom 12.10.2011, ferner BVerwG, Beschluss vom 16.06.2008, Az.: 6 B 1.08).

Die Voraussetzungen für eine Befreiung gemäß § 4 Abs. 1 RBStV erfüllt der Kläger vorliegend nicht.

Der Kläger bezieht keine Leistungen im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 5 a RBStV nach dem BAföG, weil er im streitbefangenen Zeitraum Ausbildungsverfügung erhielt und die Altersgrenze für den Bezug von BAföG bereits überschritten hatte. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die in § 4 Abs. 1 RBStV aufgenommenen Befreiungstatbestände eng auszulegen und nicht durch eine Analogie aufgrund einer planwidrigen Regelungslücke erweiterbar sind (vgl. bereits zum früheren Recht: BVerwG, Urteil vom 12.10.2011, Az.: 6C 34.10). Ob eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (BVerwG, Urteil vom 12.10.2011, Az.: 6 C 34.10 und Urteil vom 29.11.2018, Az.: 5C 10.17 = NVWZ-RR 2 19, 420 Rn. 11 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil bereits die enumerative Aufzählung in § 4 Abs. 1 RBStV gegen eine erweiternde Auslegung und Anwendung auf Beitragsschuldner spricht, die keine der genannten Sozialleistung erhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.2019, Az.: 6 C 10.18 = DGVZ 2020, 93, Rn. 20). Vor allem aber sind die in §4 Abs. 1 RBSIV aufgeführten Tatbestände aufgrund des Normzwecks als abschließend anzusehen. Denn das System der bescheidgebundenen Befreiung beruht auf dem Grundprinzip, nur demjenigen einen Anspruch auf Befreiung zuzugestehen, dessen Bedürftigkeit am Maßstab der bundesgesetzlichen Regelungen durch eine staatliche Sozialbehörde geprüft und in deren Bescheid bestätigt wird oder dem vom Staat bestätigt wurde, dass er die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung erfüllt.

Mit diesem System werden schwierige Berechnungen zur Feststellung der Bedürftigkeit auf Seiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vermieden, indem aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung an die bundesgesetzgeberischen Wertungen für den Bezug von Sozialleistungen angeknüpft und diese zur Grundlage der Reichweite einer Befreiung von der Rundfunkgebühr bzw. geltenden Beitragspflicht gemacht werden (vgl. zum früheren Recht: BVerwG, Beschluss vom 18.06.2008, Az.: 6 B 1.08 unter Hinweis auf LT-Drs. BY 15/1921, 20 f). Die Landesgesetzgeber haben mit der Einführung dieses Systems die vor Inkrafttreten des Rundfunkgebührenstaatsvertrages noch möglichen Befreiungen wegen geringen Einkommens bewusst abgeschafft und in der Vergangenheit den Katalog der Befreiungstatbestände um verschiedene Fallgruppen erweitert (vgl. im Einzelnen: BVerwG, Urteil vom 12.10.2011, Az.: 6 C 34.10; ferner BVerwG, Beschluss vom 18.06.2008, Az.: 6B 1.08). Dies schließt die Einbeziehung weiterer, bisher nicht erfasster Personengruppen wie etwa Absolventen eines nicht förderungsfähigen Zweitstudiums oder Empfänger von Wohngeld, das nicht der Sicherung des allgemeinen Lebensunterhalts, sondern als Miet- oder Lastenzuschuss der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens dient in den Anwendungsbereich des §4 Abs. 1 RBStV aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.2019, Az.: 6 C 10.18 = DGVZ 2020, 93, Rn. 21).

Der Beklagte hat aber zu Unrecht keine Befreiung des Klägers nach Maßgabe des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBSIV wegen eines besonderen Härtefalls in Gestalt einer vergleichbaren Bedürftigkeit gewährt.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wurde mit dem Urteil vom 30.10.2019 (Az.: 6 C 10.18 = DGVZ 2020, 93, Rn. 22 ff) ein restriktives Verständnis des Begriffs des ,besonderen Härtefalls“ aufgegeben. In dieser bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidung, deren Begründung sich das erkennende Gericht hiermit zu eigen macht, wird hinsichtlich der Auslegung des Begriffs des ,besonderen Härtefalls“ ausgeführt, dass es sich bei § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV seinem Nomzweck nach um eine Härtefallregelung handele, mit der grobe Ungerechtigkeiten und Unbilligkeiten vermieden werden sollen, die durch das in § 4 Abs. 1 RBStV verankerte normative Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit entstünden. So eröffne diese Vorschrift die Möglichkeit, nicht zu den Personengruppen des § 4 Abs. 1 RBStV gehörende Beitragsschuldner von der Beitragspflicht zu befreien, wenn sich ihre Schlechterstellung gegenüber den befreiten Personengruppen nicht sachlich rechtfertigen lasse. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV, wonach die Befreiung wegen eines besonderen Härtefalls „unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Absatz 1″, mithin unabhängig von dem in Absatz 1 zugrunde liegenden Regelungssystem in Betracht komme. Bestätigt werde dieses Normverständnis durch die Gesetzesmaterialien, aus denen sich ergebe, dass „weiterhin“ die Befreiung wegen eines besonderen Härtefalls in Betracht kommen solle, wenn, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorlägen, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden könne. Eine Berücksichtigung des dem Absatz 1 zugrunde liegenden Konzepts bei der Auslegung des besonderen Härtefalls widerspräche dem Charakter dieser Regelung als Ausnahmevorschrift.

Ferner wird in der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt, dass die Anwendung des in § 4 Abs. 1 RBStV verankerten Systems der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit auch aus Gründen der durch die Beitragspflicht herbeigeführten wirtschaftlichen Belastung zu groben Unbilligkeiten führen könne, die in bestimmten Fallgruppen die Annahme eines besonderen Härtefalls rechtfertigten (a.a.O. Rn. 25). Dies folge bereits aus der den besonderen Härtefall beispielhaft kennzeichnenden Regelung in § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV. Danach liege ein besonderer Härtefall vor, wenn eine Sozialleistung nach Absatz 1 Nummer 1 bis 10 in einem durch die zu ständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten. Es wären daneben also diejenigen Beitragsschuldner zu befreien, die zur Erfüllung ihrer Beitragspflicht auf Teile ihrer Einkünfte zurückgreifen müssten, die nach den Maßstäben der Sozialgesetze in ihrer Höhe den Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entsprächen und damit ausschließlich zur Deckung des Lebensbedarfs einzusetzen seien. § 4 Abs. 6 Satz 2 RBSIV bezwecke aber insoweit auch den Schutz des Existenzminimums, da ein Einkommen in Höhe der Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts allein dazu diene, sowohl die physische als auch die soziale Seite des Existenzminimums sicherzustellen; es sei nicht für die Erfüllung der Rundfunkbeitragspflicht einzusetzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.11.2011, Az.: 1 BvR 665/10).

Dieser Erwägung komme auch bei der Auslegung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV entscheidende Bedeutung zu. So erweise sich Absatz 6 Satz 2 schon angesichts seines Wortlauts („insbesondere“) nicht als abschließend. Der Schutz des Existenzminimums könne daher auch in anderen Fallgestaltungen eine Rundfunkbefreiung wegen eines besonderen Härtefalls rechtfertigen. Eine solche Fallgestaltung liege bei Beitragsschuldnern vor, die ein den Regelleistungen entsprechendes oder geringeres Einkommen hätten und nicht auf verwertbares Vermögen zurückgreifen könnten, aber von der Gewährung der in § 4 Abs. 1 RBSIV genannten Sozialleistungen mangels Vorliegen der Voraussetzungen ausgeschlossen seien. Denn während die nach 54 Abs. 1 Nr. 1 RBSIV von der Rundfunkbeitragspflicht befreiten Personen nicht auf das monatlich ihnen zur Verfügung stehende Einkommen in Höhe der Regelleistungen zur Erfüllung der Beitragspflicht zurückgreifen müssten, weil dieses Einkommen ausschließlich zur Deckung ihres Lebensbedarfs einzusetzen sei, müsse der erstgenannte Gruppe von Beitragsschuldnern auf ihr der Höhe nach den Regelleistungen entsprechendes oder diese Höhe sogar unterschreitendes Einkommen zurückgreifen, weil sie aus dem System der Befreiung nach § 4 Abs. 1 RBStV herausfielen. Sie würden hierdurch schlechter gestellt, obwohl beide Personengruppen in Bezug auf ihre finanzielle Bedürftigkeit miteinander vergleichbar seien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.11.2011, Az.: 1 BvR 665/10).

Eine solche Ungleichbehandlung trotz gleicher Einkommensverhältnisse beruhe gemessen an den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf einem sachlichen Grund. Da das System der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit der Verwaltungsvereinfachung diene, weil es auf Seiten der Rundfunkanstalten ohne eine Bedürftigkeitsprüfung auskomme, könnte die Schlechterstellung nur dann sachlich gerechtfertigt sein, wenn Gründe der Verwaltungspraktikabilität es auch im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBSIV rechtfertigten, von einer Bedürftigkeitsprüfung abzusehen. Dies setze voraus, dass die mit der Schlechterstellung verbundenen Harten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar seien, sie lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv sei. Diese Voraussetzungen seien in der vorliegenden Fallgestaltung jedoch nicht gegeben, da die Gruppe einkommensschwacher Personen, die nicht von § 4 Abs. 1 Nr. 1 RBStV erfasst würden, obwohl die Höhe ihres Einkommens mit den Regelleistungen vergleichbar sei, keine kleine Anzahl von Personen erfasse und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz sehr intensiv sei. Die Entrichtung des Rundfunkbeitrags stelle für diesen Personenkreis eine spürbare und wiederkehrende Belastung dar, die im Verhältnis zu dem ihnen nach Abzug der Wohnkosten zur Verfügung stehenden Einkommen zu einer Verringerung des Einkommens von bis zu 5% führe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.11.2011, Az: 1 BvR 665/10). Bei einem die Höhe der Regelleistungen unterschreitenden Einkommen sei dieser Wert gegebenenfalls noch höher. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten seien daher bei diesen einkommensschwachen Beitragsschuldnem gehalten, im Rahmen ihrer Prüfung eines besonderen Härtefalls eine Bedürftigkeitsprüfung vorzunehmen. Das Bundesverwaltungsgericht konkretisiert dies dahin, dass sich die Annahme einer vergleichbaren Bedürftigkeit, die eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV rechtfertige. Insbesondere an den Einkünften und dem verwertbaren Vermögen eines Empfängers von Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff., § 90 Sozialgesetzbuch (SGB) XIl zu orientieren habe (a.a.O. Rn. 29). Denn die Empfänger dieser Leistungen, die hier die Vergleichsgruppe für die nicht vom Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV erfassten Beitragsschuldner bildeten, hätten nur einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, wenn sie unter anderem nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln ihren notwendigen Lebensunterhalt bestreiten könnten. Voraussetzung sei hiernach zum einen, dass dem Beitragsschuldner nach Abzug der Wohnkosten lediglich ein mit dem Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII) vergleichbares Einkommen zur Verfügung stehe. Maßstab bildeten hier die in der Anlage zu § 28 SGB XIl bekannt gemachten Regelsätze der jeweiligen Regelbedarfsstufen für die Leistungsberechtigten nach § 27 SGB XII. Zum anderen setze die Annahme einer vergleichbaren Bedürftigkeit voraus, dass die Beitragsschuldner über kein verwertbares Einkommen im Sinne von § 90 SGB XIl verfügten. Damit die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Prüfung der vergleichbaren Bedürftigkeit durchführen könnten, müssten die Beitragsschuldner, die eine Befreiung wegen eines besonderen Härtefalls begehrten, die hierfür erforderlichen Nachweise nach § 4 Abs. 7 Satz 2 RBStV vorlegen. Darüber hinaus bestehe für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Möglichkeit, nach Maßgabe von § 9 Abs. 1 RBStV von dem Beitragsschuldner weitere Auskünfte und Nachweise zu verlangen. Erfüllten Beitragsschuldner die ihnen rechtmäßig auferlegten Mitwirkungspflichten trotz angemessener Fristsetzung nicht, so sei die Befreiung zu versagen (a.a.O. Rn. 30).

Schließlich sei dem Bundesverwaltungsgericht zufolge die Anwendung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV auf einkommensschwache Personen bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen mit der Qualifizierung des Rundfunkbeitrags als nichtsteuerliche Abgabe in Gestalt einer Vorzugslast vereinbar. Die Landesgesetzgeber seien nicht gehindert, soziale Belange oder andere „vorteilsfremde“ Zwecke zu verfolgen und Unterschiede in der Beitragshöhe (Befreiungen oder Ermäßigungen) vorzusehen, wenn sie durch hinreichende gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt sei (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 27.09.2017, Az: 6 C 34.16). Derartige Gründe lägen in der Sicherstellung der physischen und sozialen Seite des Existenzminimums, indem verfügbares Einkommen, dessen Hohe unter dem Regelsatz für die Hilfe zum Lebensunterhalt liege, nicht für die Entrichtung des Rundfunkbeitrags aufgewendet werden müsse.

Diese Vorgaben zugrunde gelegt sind der Ablehnungsbescheid vom XX.XX.2016 und der Widerspruchsbescheid vom XX.XX.2018 aufzuheben und ist der Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Befreiung zu gewähren.

Der Beklagte hat vorliegend zu beachten, dass eine vergleichbare Bedürftigkeit des Klägers in Betracht kommt, die einen besonderen Härtefall begründet und damit eine Befreiung von der Beitragspflicht nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV rechtfertigt. Denn ausweislich des vom Kläger am XX.XX.2016 seinem Befreiungsantrag beigelegten Ausbildungsverdienstbescheinigung erhielt er im relevanten Zeitraum der Antragstellung lediglich eine Vergütung von ca. 720 Euro brutto (Auszahlung ca. 570 Euro und Wohngeld in Höhe von ca. 150 Euro).

Das Gericht ist nach alledem davon überzeugt, dass bei dem Kläger eine vergleichbare Bedürftigkeit mit den Fällen des § 4 Abs. 1 RBStV vorliegt, weil der Kläger ersichtlich im gesamten streitbefangenen Zeitraum ein mit dem Empfänger zur Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII) vergleichbares Einkommen nach Maßgabe der in der Anlage zu § 28 SGB XII bekannt gemachten Regelsätze zur Verfügung stand.

Dass dem Kläger dennoch kein Anspruch auf eine der in Abs. 1 des § 4 RBStV normierten Sozialleistungen zustand, hängt mit seiner atypischen Situation zusammen, nämlich insbesondere dem Umstand, dass dem Kläger das üblicherweise zur Aufstockung von Ausbildungsvergütungen vorgesehene BAföG aufgrund des Überschreitens der Altersgrenze von 30 Jahren nicht zusteht. Es muss aber – unabhängig von der dort normierten Altersgrenze – möglich sein, auch im Erwachsenenalter sofern wie hier noch ein möglicher Erwerbszeitraum von über 35 Jahren bis zum Erreichen des Rentenalters zur Verfügung steht – eine Ausbildung zu absolvieren, um nach folgend bessere Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Da hiernach in der Person des Klägers sowohl die Voraussetzungen des Vorliegens einer besonderen Bedürftigkeit als auch die einer atypischen Fallkonstellation gegeben sind, ist dem Kläger die beantragte Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gemäß § 4 Abs. 6 RBStV zu gewähren.

Da der Kläger obsiegt, sind dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen (§ 154 Abs. 1 Satz 3 VwGO).

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