OLG SH, Beschluss vom 16.07.2015, 3 Wx 19/15

Ein Testament muss – wenn kein öffentliches, notarielles Testament vorliegt (§ 2232 BGB) – bekanntlich handschriftlich verfasst sein (§ 2247 Abs. 1 BGB). Nicht nur die Unterschrift muss handschriftlich sein, sondern auch der gesamte Inhalt. Dies soll eine erhöhte Sicherheit dafür geben, dass der Erblasser sich der Bedeutung seiner Verfügung bewusst war und sie zudem auch tatsächlich von ihm stammt.

Handschriftliche Erklärungen bergen aber immer die Gefahr der Unlesbarkeit. Was ist nun, wenn man ein Testament schlicht nicht entziffern kann? Diesen Fall hatte nun das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zu entscheiden.

Das Gericht ist der Ansicht, dass die Lesbarkeit Teil der Formvorschrift ist. Denn der geschriebene Text ist Ausgangspunkt der Auslegung. Eine solche kann aber nicht geschehen, wenn man nicht einmal weiß, welche Worte der Erblasser überhaupt gewählt hat. Dabei ist eine schwere Lesbarkeit unschädlich, sofern zumindest durch Hinzuziehen eines Sachverständigen eine sichere Entzifferbarkeit gegeben ist.

Interessant ist auch, dass das Gericht es abgelehnt hat, den Inhalt des Testaments durch die Vernehmung einer Zeugin, die die Erblasserin gekannt hat, feststellen zu lassen. Dies hat das Gericht wie folgt begründet:

Eine Vernehmung der Zeugin Marlies S. dazu, was die Erblasserin hat erklären wollen, verbietet sich. Nur der formwirksam verlautbarte Wille der Erblasserin ist maßgeblich. Deshalb muss der Inhalt des vom Erblasser Erklärten seinem Wortlaut nach vollständig aus der Urkunde zu entnehmen sein. Soweit diese unlesbar ist, können außerhalb der Urkunde liegende Umstände und die Aussagen von Zeugen nicht darüber hinweghelfen

Mit anderen Worten: Dass die Erblasserin möglicherweise ein Testament mit einem bestimmten Inhalt errichten wollte, ist nicht relevant. Es kommt nur darauf an, was sie tatsächlich geschrieben hat.

Die Frage „Wie hat sie das Testament gemeint?“ kann sich also erst stellen, wenn die Frage „Was hat sie geschrieben?“ beantwortet ist.

Welche Schwierigkeiten das Gericht hatte, dies festzustellen, lässt sich aus den Urteilsgründen erahnen:

Der Senat – Spezialsenat für Nachlassangelegenheiten – ist trotz langjähriger Erfahrung mit der Entzifferung schwer lesbarer letztwilliger Verfügungen nicht in der Lage, das Schriftstück soweit zu entziffern, dass es einen eindeutigen Inhalt erhält. Er geht mit dem Nachlassgericht davon aus, dass die ersten drei Worte „ich Ruth H.“ und die letzten Worte „Kathrin G. geb. 13.12.74“, gefolgt von der Unterschrift und der Zahlreihe „06.04.12“ lauten. Diese Worte weisen die Erblasserin als Erklärende aus und lassen einen Bezug der Erklärung zu der Beteiligten zu 2., die namentlich und mit ihrem Geburtsdatum genannt wird, erkennen. Die letzten vier Zahlen könnten auf den 06. April 2012 als Tag der Niederschrift hinweisen.

In der Mitte des Textes verbleiben jedoch einige nicht zweifelsfrei lesbare Worte. Selbst wenn es sich bei den Buchstaben in der linken Hälfte der zweiten Zeile um ein einziges Wort handeln sollte – obgleich zwischen dem zweiten und dritten Buchstaben eine Lücke ist – und dieses Wort als „vermache“ zu lesen wäre, bliebe doch eine Ungewissheit wegen der verbleibenden beiden Worte. Selbst wenn feststünde, dass die Erblasserin – sollte das Schriftstück von ihr stammen – der Beteiligten zu 2. etwas „vermachen“ wollte, bliebe unklar, was genau dies sein sollte. Das Bezugsobjekt des „Vermachten“ ist nicht lesbar. Der Senat kann die fraglichen Worte weder im Sinne von „vermache alles meiner“ – wie es die Beteiligte zu 2. lesen möchte – noch in anderer Weise, die einen eindeutigen Inhalt ergäbe, lesen.

Die Ungewissheit über den Inhalt des Geschriebenen lässt sich nicht unter Zuhilfenahme der Feststellungen, die die vom Nachlassgericht herangezogene Sachverständige Mechthild N. getroffen hat, beseitigen. Die Sachverständige hat zwar das erste der drei umstrittenen Worte als „vermache“ identifiziert. Wie sie in der mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens näher dargelegt hat, hat sie sich hierbei auf einen Vergleich der Linienführung mit der Schreibweise einzelner Buchstaben, die in dem Schriftstück mehrfach vorkommen, gestützt. Sie hat bei der Identifizierung des Wortes aber den Vorbehalt gemacht, dass einzelne darin vorkommende Buchstaben, insbesondere das „a“ und das „c“, schwer gestört seien. Sie sind in der Tat als solche nicht erkennbar und lassen sich allenfalls daraus herleiten, dass die Buchstabenfolge nur auf diese Weise ein sinnvolles Wort ergäbe. Gleichwohl ist die Sachverständige letztlich mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer richtigen Entzifferung dieses Wortes ausgegangen.

Nicht zu entziffern waren auch für sie die beiden anderen Worte. Die letzten beiden Buchstaben des zweiten Wortes in der zweiten Zeile hat die Sachverständige als „es“ erkannt. Hieraus ließe sich, so die Sachverständige sinnvoll das Wort „alles“ bilden. Sie hat sich jedoch nicht festlegen wollen, dass die Buchstaben tatsächlich so zu ergänzen seien. Zum einen, so die Sachverständige, wäre das Wort falsch, nämlich nur mit einem „l“, geschrieben. Zum anderen lasse sich der Anfangsbuchstabe nicht sicher lesen; er könne ein „a“, „n“ oder „w“ darstellen. Der Senat ergänzt, dass eine weitere Unsicherheit dadurch entsteht, dass der mittlere steile Bogen in der Buchstabenfolge nicht höher ist als die restlichen Bögen und Rundungen des Wortes. Dies erhöht die Unsicherheit noch, dass es sich dabei um ein „l“ handeln könnte. Dies gilt zumal bei einem Blick auf die im Text mehrfach vorkommenden vergleichbaren Buchstaben „h“, „t“, „b“, die alle mit mehr oder weniger deutlich ausgeprägtem Oberstrich geschrieben sind.

Auch das erste Wort in der dritten Zeile blieb für die Sachverständige „hochproblematisch“. Sie hat es ausdrücklich nur unter diesem Vorbehalt als das Wort „nach“ interpretiert. In der Tat ist kaum nachvollziehbar, wie die Rundung am rechten Rand des Schriftzugs zu erklären wäre, wenn der letzte Buchstabe ein „h“ wäre. Sie deutet eher auf ein „e“ hin. Dass die Beteiligte zu 2. ihrerseits in dem Schriftzug das Wort als „meiner“ erkennt, zeigt erst recht die Unsicherheit über die zutreffende Lesart.

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