BGH, Urteil vom 20.12.2012, 3 StR 117/12

In diesem Urteil musste der BGH über die Verwertbarkeit sogenannter „Beinahetreffer“ bei DNA-Tests entscheiden, die zwar nicht den Täter, aber dessen Verwandte belasten.

Vorgeschichte

Im Juli 2010 war eine Frau überfallen und brutal vergewaltigt worden. Da Genmaterial des Täters sichergestellt werden konnte, wurde eine DNA-Reihenuntersuchung gemäß § 81h angeordnet. Alle Männer aus der Tatortgemeinde zwischen 18 und 40 Jahren wurden gebeten, freiwillig Speichelproben zum Abgleich abzugeben. Wie immer in solchen Fällen kamen fast alle Personen der Bitte nach. Bei zwei der Proben wurde festgestellt, dass diese Männer sicher nicht die Täter waren, dass ihre DNA aber in einer bestimmten Gensequenz (Allel) mit der des Täters übereinstimmte. Damit waren Verwandte dieser beiden Personen dringend verdächtigt.

In der Folge ordnete der Ermittlungsrichter gemäß § 81a StPO, dem Sohn bzw. Neffen der beiden Personen (der als Minderjähriger von der Reihenuntersuchung nicht erfasst war) Körperzellen zu entnehmen und einen DNA-Test durchzuführen. Dieser ergab, dass er der Täter war. Aufgrunddessen wurde er schließlich zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt.

Revision zum BGH

Mit seiner Revision zum Bundesgerichtshof rügte der Angeklagte, dass die DNA-Reihenuntersuchung nicht hätte verwendet werden dürfen. Dem hat sich der BGH im Ergebnis nicht angeschlossen:

1. Die Voraussetzungen für eine Reihenuntersuchung nach § 81h Abs. 1 StPO lagen vor. Eine erhebliche Straftat war gegeben und es wurde Spuren gefundenen, die man auf diese Weise möglicherweise einer bestimmten Person zuordnen konnte. Aufgrund der Schwere der Tat war das Vorgehen auch verhältnismäßig.

2. Allerdings dürfen die Erkenntnisse aus einer Reihenuntersuchung gemäß § 81h Abs. 1 nur für und gegen die Teilnehmer an dieser Untersuchung verwendet werden („soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von diesen Personen stammt“). Ihre Verwendung in Verfahren gegen andere Personen (wie eben hier den angeklagten Jugendlichen) ist dagegen unzulässig.

kein Verwertungsverbot

3. Die rechtswidrige Gewinnung der Erkenntnisse führt aber nicht zur Unverwendbarkeit. Dieser – bis dato ungeklärten Frage – widmet sich der BGH geradezu schulmäßig:

a) Durch die unrechtmäßige Erlangung von Indizien gegen den Täter wird auch der §-81a-Beschluss erfasst, da dieser ohne die DNA-Erkenntnisse keine Grundlage hat.

b) Insbesondere hätten Erkenntnisse aus Untersuchungen von Verwandten nicht verwendet werden dürfen, da hier die Vorschriften über das Zeugnisverweigerungsrecht entsprechend anzuwenden sind (§ 81c Abs. 3 Satz 1, § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO).

c) Auf einen Verstoß gegen das Untersuchungsverweigerungsrecht können sich nicht nur die betroffenen Angehörigen, sondern auch der Angeklagte selbst berufen. Denn die Vorschriften schützen nicht nur einzelne Personen, sondernn die Familienbande an sich.

d) Da die Frage der Verwertbarkeit der rechtswidrig erlangten Erkenntnisse gesetzlich nicht geregelt ist, muss die Frage anhand einer umfassenden Abwägung entschieden werden:

aa) § 81g Abs. 2 Satz 2 StPO will grundsätzlich eine Verwendung der DNA-Daten verhindern.

bb) §§ 244 Abs. 2, 261 verpflichtet das Gericht, sich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung unter Heranziehung aller verfügbaren Beweismittel eine Überzeugung zu bilden.

cc) Zufallsfunde sind nicht stets unverwertbar, vgl. §§ 108 Abs. 1, 477 Abs. 2 Satz 2.

dd) Es handelte sich um keine bewusste oder gar willkürliche Gesetzesumgehung, sondern um einen ermittlungstechnisch vertretbaren Ansatz, die festgestellte Verwandtschaft zum Anlass zu nehmen, in der Familie weiterzuforschen.

Im Ergebnis wurde also ein Rechtsverstoß bejaht, die gewonnenen Erkenntnisse konnten aber trotzdem die Verurteilung stützen. Eine hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht angenommen und damit die Haltung der Fachgerichte bestätigt.

Hinweise für Studenten und Referendare

Die Entscheidung könnte durchaus klausurrelevant sein. Denn die hierfür notwendige Vorgeschichte ist in einigen wenigen Sätzen erklärt. Dann sollte man vor allem die Frage der Rechtmäßigkeit der Reihenuntersuchung und die Rechtmäßigkeit der Verwendung auf einen Dritten auseinanderhalten und beides sorgfältig prüfen. Die meisten Punkte wird es dann darauf geben, ob man aus einer rechtswidrigen Verwendung auch ein Verwertungsverbot konstruiert – hier kann man aber auf allgemeine Kenntnisse zu den Verwertungsverboten für andere Beweismittel zurückgriefen. Wie immer sind für die Bewertung der Klausur die Argumente entscheidend und hier sollte man die Überlegungen der BGH zumindest grob parat haben.

Auch im Mündlichen kann man einige Fragen dazu stellen. Aufgrund des Umfangs der §§ 81 bis 81h StPO sollte man diese zumindest überblicksmäßig kennen, da es schwierig ist, sich diese durch schnelles Lesen zu erschließen. Wichtig ist insbesondere, dass § 81h einerseits einen richterlichen Beschluss voraussetzt, andererseits aber auch das Einverständnis der Untersuchungsteilnehmer – es handelt sich also um eine richterlich angeordnete Freiwilligkeit. Der Gedanken dahinter ist wohl, dass sich faktisch jeder verdächtig macht, der nicht daran teilnimmt, und so doch wieder eine gewisse Verpflichtung vorliegt.

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