LG Tübingen, Beschluss vom 09.12.2016, 5 T 280/16

Das LG Tübingen sorgt wieder einmal für Furore: Es hält im Beschluss vom 9. Dezember (Az. 5 T 280/16) an seiner Rechtsprechung fest, nach der die Rundfunkanstalten keine Behörden sind. Die Entscheidung im Volltext: http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=21647 (unten angegebene Randnummern beziehen sich darauf)

Verfahren bleibt bis zur BGH-Entscheidung ausgesetzt

lady-justice-677945_640In seinem vielbeachteten Urteil vom 16.09.2016 hatte es dies zuerst entschieden, allerdings die Rechtsbeschwerde vor den Bundesgerichtshof zugelassen, um eine endgültige höchstrichterliche Klärung der Sache zu erreichen. Ein weiteres, später bei ihm eingetroffenes Verfahren hatte das LG Tübingen deswegen ausgesetzt, um es erst dann zu entscheiden, wenn das BGH-Urteil vorliegt. Dass dieses Verfahren weiterhin ausgesetzt bleibt, hat es nun entschieden.

Fernduell mit dem Verwaltungsgerichtshof

Auslöser dafür war ein Urteil des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs, das dieser Einschätzung widersprochen hatte. Dieses Urteil hat für das Landgericht an sich keinerlei Bedeutung, da es sich um ein Gericht ein anderes Rechtszugs handelte: Das Landgericht ist ein Zivilgericht, das nur deswegen zur Entscheidung berufen ist, weil es eine Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher ging. Der VGH ist dagegen ein Verwaltungsgericht, das über die Richtigkeit des Beitragsfestsetzungsbescheids geurteilt hat. Diese Gerichte stehen also nebeneinander, keines ist dem anderen übergeordnet. Das Landgericht Tübingen hat dies lediglich zum Anlass genommen, seine eigene Rechtsauffassung zu überprüfen – oder dem VGH die Unrichtigkeit von dessen Auffassung darzulegen.

Dabei hat das Landgericht zum einen auf die Gegenargumente des VGH geantwortet, zum anderen aber auch neue Gesichtspunkte vorgebracht:

  • Der Erlass von Verwaltungsakten durch die Rundfunkanstalt ist kein Beleg für deren Behördeneigenschaft. Vielmehr ist die Behördeneigenschaft Voraussetzung für die Annahme eines Verwaltungsakts. Eine Nicht-Behörde könnte auch nicht einfach die Handlungsform eines Verwaltungsakts wählen und sich damit zur Behörde aufschwingen. (Rndr. 3)
  • Ein Grunddogma des öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist dessen (angebliche) Staatsferne. Dem widerspricht es, die Rundfunkanstalten als Behörden anzusehen. (Rndnr. 4)
  • Die vom VGH angenommene „Einordnung in den Organismus der Staatsverwaltung“ werde nicht näher erläutert. (Rdnr. 5)
  • Die Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder lassen keinen Schluss hinsichtlich der Behördeneigenschaft zu, da diese andererseits an die Verwaltungsvollstreckungsgesetze gebunden sind. Allerdings handelt es sich insoweit eher um eine allgemeine Kritik des LG an der Rechtslage, weniger um eine Argumentation in der Sache. (Rdnr. 6 und 7)
  • Eine Rechtsfortbildung durch die Gerichte sei nicht zulässig, da die Rechtslage insoweit klar sei. (Rdnr. 8)
  • Der Melderegisterabgleich dringt in die Privatsphäre der Bürger ein und verlangt zudem Auskünfte darüber, zwischen welchen Personen auch eine Wohngemeinschaft besteht. (Rdnr. 9)
  • Pro Wohnung muss nur noch eine Person den Beitrag zahlen. Die Anstalten nehmen sich insoweit das Recht heraus, einen von mehreren Beitragsschuldner pro Wohnung auszuwählen. Dabei gelten die üblichen Ermessensvorschriften nicht, die Anstalt muss die Festlegung nicht durch Verwaltungsakt treffen und der Herangezogene kann sich gegen seine Verpflichtung nicht wehren. Außerdem entstehen für diese Person Säumniszuschläge, ohne dass er weiß, dass die Anstalt gerade ihn heranziehen wird. (Rdnr. 9)
  • Wenn die Rundfunkanstalten Inhalte im Rahmen des Internets anbieten, das nicht dem konventionellen Rundfunk (Radio und Fernsehen) unterfällt, kann daraus keine Beitragspflichtig für Internetnutzer entstehen. Das ist wiederum eine allgemeine Kritik an den Rundfunkstaatsverträgen und dem öffentlich-rechtlichen System. (Rdnr. 10)
  • Kommt der Rundfunk jedem zugute, handelt es sich nicht um Sondervorteile, die nach abgabenrechtlichen Grundsätzen durch Beiträge zu decken sind, sondern die Finanzierung müsste aus dem allgemeinen Steuertopf bestritten werden. (Rdnr. 11)
  • Die Werbegrundsätze für die öffentlich-rechtlichen Sender sind unlogisch. (Rdnr. 12)
  • Die Kosten pro Bürger driften extrem auseinander: Teilen sich mehrere Erwachsene eine Wohnung, muss jeder nur einen Bruchteil des Beitrags bezahlen. Hat dagegen ein Alleinstehender noch eine Nebenwohnung, eine gewerbliche Niederlassung und/oder einen beruflich genutzten Pkw, so vervielfacht sich dessen Beitragsschuld. (Rdnr. 13 und 14)

Resümee

radio-1682531_640Die fünfte Tübinger Zivilkammer liefert wieder zahlreiche Argumente gegen den Rundfunkbeitrag. Diese befassen sich nicht länger nur mit Fragen des Vollstreckungsrechts, die es selbst zu prüfen hat. Vielmehr handelt es sich um eine richtiggehende Breitseite gegen die Fundament des Staatsrundfunks (v.a. Rdnr. 9 bis 14).

Möglicherweise – das ist aber nur eine Mutmaßung – bereitet der zuständige Richter bereits den nächsten Schritt vor, nämlich eine Richtervorlage zum Bundesverfassungsgericht. Denn in den Vorverfahren ließ er die Vollstreckung noch an materiell-rechtlichen Gesichtspunkten scheitern, zuletzt an der mangelnden Selbsttitulierungsbefugnis der Rundfunkanstalten als „Nicht-Behörden“.

Kommt die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht?

Wenn der BGH diese Entscheidung aufhebt, müsste das LG beim nächsten ähnlichen Fall der Rundfunkanstalt Recht geben, sofern es keine weiteren Argumente mehr findet. Dann könnte das Gericht aber Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit gegen die Inhalte der Rundfunkstaatsverträge, die durch die Zustimmungsgesetze der Länder zum Landesrecht geworden sind und die es nun selbst anwenden müsste, haben. Folge wäre dann eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht, das dann die Verfassungsmäßigkeit der Verträge überprüfen müsste.

Das wäre tatsächlich ein Paukenschlag, der die bisherigen formaljuristischen und nur die Vollstreckung betreffenden Entscheidungen weit überflügeln würde.

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