VG Saarlouis, Urteil vom 23.12.2015, 6 K 43/15 (Keine Heilung bei Zustellungsverstoß)

heart-159637_1280In diesem Verfahren ging es um die Rechtmäßigkeit eines Rundfunkbeitragsbescheids. Der Kläger aus dem Saarland besaß aus religiösen Gründen keinen Fernseher und wollte sich daher von der Beitragspflicht befreien lassen. Die Landesrundfunkanstalt lehnte diesen Antrag ab. Hiergegen legte der Betroffene Widerspruch ein, den die Landesrundfunkanstalt zurückwies. Die Zusendung des Widerspruchsbescheids geschah durch einfachen Brief per Post. Circa acht Wochen nach Absendung des Widerspruchsbescheids erhob der Kläger dann die Klage zum Verwaltungsgericht Saarlouis.

Seine Befreiung hat der Kläger, soviel sei verraten, nicht durchbekommen. Auch seine religiösen Überzeugungen entbinden ihn nicht von der Zahlungspflicht, so der Richter.

Die interessante Frage in diesem Verfahren war aber, ob die Klage überhaupt zulässig war. Denn eigentlich sagt § 74 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO):

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden.
(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

Hier lag zwischen dem Zugang des Widerspruchsbescheids und der Klageerhebung aber offensichtlich mehr als ein Monat. Bei genauerem Lesen stellt man aber fest, dass es auf den bloßen Zugang nicht ankommt. Vielmehr muss der Widerspruchsbescheid auch zugestellt werden.

Zustellung ist mehr als Zugang

Zustellung ist kein Synonym für Zugang, sondern beschreibt einen sehr förmlichen Akt. Dieser richtet sich, wie § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO noch einmal ausdrücklich erwähnt, nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes (VwZG).

Die formelle Zustellung kann demnach geschehen durch

  • Postzustellungsurkunde, sog. „gelber Brief“ (§ 3 VwZG)
  • Einschreiben (§4 VwZG)
  • Empfangsbekenntnis oder in elektronischer Form (§§ 5 und 5a VwZG)

Der einfache Brief, der hier verwendet wurde, ist gerade nicht darunter. Damit ist keine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt. Rechtsfolge ist dann, dass die Klagefrist gar nicht erst zu laufen begonnen hat und dementsprechend auch noch nicht verstrichen sein kann. Die Klage wäre demnach rechtzeitig gewesen.

Heilung durch tatsächlichen Zugang?

Nun gibt es aber noch § 8 VwZG, der die Heilung eines Zustellungsmangels behandelt:

Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist es unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, gilt es als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist.

Ist die Zustellung also nicht nachweisbar, kommt es auf den tatsächlichen Zugang des Widerspruchsbescheids an. Diesen Zugang muss die Behörde nachweisen, was meist schon schwer genug ist, wenn man die vorgesehenen Möglichkeiten einer „sicheren“ Zustellung gerade nicht verwendet hat. Das wäre aber bspw. dann der Fall, wenn sich der Adressat des Bescheids bei der Behörde gemeldet und auf den Brief Bezug genommen hätte.

Heilung nur bei Versehen

Nun geht das Verwaltungsgericht aber noch einen Schritt weiter und engt den Anwendungsbereich des § 8 VwZG über seinen Wortlaut hinaus ein:

Demnach kommt eine Heilung nur in Betracht, wenn die Behörde überhaupt Zustellungswillen hatte. Nur dann, wenn die Behörde eigentlich die Vorschriften über die Zustellung beachten wollte, aber dies versehentlich vergessen wurde oder bspw. der Zustellungsnachweis verloren wurde, ist eine Heilung möglich. Verstößt die Behörde aber vorsätzlich gegen die rechtlichen Bestimmungen, kann sie sich nicht darauf berufen, dass der Brief ja trotzdem angekommen ist. Die Heilungsmöglichkeit soll also nur menschliche Fehler auffangen, nicht aber wissentlichen Gesetzesbruch.

Das Verwaltungsgericht findet hierfür ungewöhnlich deutliche Worte in Richtung der Landesrundfunkanstalt bzw. des für sie handelnden Beitragsservice:

Im Übrigen besteht vor diesem Hintergrund Veranlassung, den Beklagten darauf hinzuweisen, dass ein Widerspruchsbescheid gemäß § 73 Abs. 3 Sätze 1 und 2 VwGO zuzustellen ist. Ausnahmen sind auch in sog. Massenverwaltungsverfahren wie der Rundfunkbeitragserhebung gesetzlich nicht vorgesehen. Ein bewusstes Absehen des Beklagten von der ihm obliegenden Zustellungspflicht wäre mit seiner Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren.

Einfacher Brief trotzdem kein Freibrief

Kann man sich nun auf dieses Urteil verlassen und nicht zugestellte Widerspruchsbescheide getrost in die Schublade legen, ohne die Angst, etwas zu versäumen?

Nicht unbedingt. Zwar gibt es auch noch andere Verwaltungsgerichte, die dieser Ansicht sind, eine endgültige Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht für alle Rechtsbereiche ist aber wohl noch nicht erfolgt. Insofern ist zumindest nicht auszuschließen, dass ein anderes Gericht eine Heilung nach § 8 VwZG doch annimmt.

Außerdem gibt es im öffentlichen Recht den Grundsatz der Verwirkung. Auch dann, wenn keine Frist läuft, muss man seine Rechte innerhalb eines gewissen Zeitraums wahrnehmen. Wer dauerhaft darauf verzichtet, der kann sich später nicht auf einmal doch darauf berufen. Bei falschen Rechtsbehelfsbelehrungen gilt hier eine Frist von einem Jahr (§ 58 Abs. 2 VwGO), die man ggf. analog heranziehen könnte.

Und schließlich ist es bei manchen Behörden auch durchaus möglich, dass die Zustellung nur im Einzelfall vergessen wurde und damit die Heilungsmöglichkeit besteht. Den Rundfunkanstalten, die ihre Widerspruchsbescheide fast immer ohne Berücksichtigung der Zustellungsvorschrift versenden, wird man das freilich nicht glauben.

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