Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23.02.2021, 2 BvR 1304/17

Das Bundesverfassungsgericht hat sich erneut zum Anspruch auf Strafverfolgung geäußert.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich erneut zum Anspruch auf Strafverfolgung geäußert.
Heute geht es um eine vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesene Verfassungsbeschwerde, auf die ich beim Kollegen RA Burhoff aufmerksam geworden bin. Diese behandelte einen Klageerzwingungsantrag, also ein Verfahren, in dem jemand die Strafverfolgung einer anderen Person gerichtlich durchsetzen wollte, nachdem die Staatsanwaltschaft es abgelehnt hatte, überhaupt Ermittlungen einzuleiten. Diesen Antrag hatte neben der Staatsanwaltschaft selbst auch das Oberlandesgericht zurückgewiesen, sodass dagegen die Verfassungsbeschwerde möglich war.

Zu den verfassungsrechtlichen Regeln eines solchen Vorgehens finden Sie auf anwalt.de auch den folgenden Fachartikel:
anwalt.de – Das Bundesverfassungsgericht zum Anspruch auf Strafverfolgung

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist.

Die Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde ist heute die Regel. Ausnahmsweise wurde die Entscheidung begründet, dies ist an sich nicht notwendig.

1. Die Verfassungsbeschwerde genügt offensichtlich nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG, denn ihre Begründung lässt eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen. Zudem enthält sie vielfach lediglich pauschale Verweisungen auf frühere Schriftsätze und verkennt, dass es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, verfassungsrechtlich Relevantes aus den in Bezug genommenen Schriftsätzen herauszusuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 <263>; 83, 216 <228>).

Der Verfassungsbeschwerdeführer hat erhebliche Darlegungspflichten. Er muss dem Bundesverfassungsgericht genau mitteilen, was er an den Entscheidungen der Gerichte für verfassungswidrig hält. Was dagegen nicht reicht (und danach klingt die Begründung hier), ist die bloße Aussage, man habe im Klageerzwingungsverfahren schon alles vorgetragen.

Darüber hinaus haben die Beschwerdeführer für die verfassungsrechtliche Beurteilung unverzichtbare Unterlagen, insbesondere das in Bezug genommene Handyvideo, dessen Inhalt nach Auffassung der Beschwerdeführer in ein gerichtsmedizinisches Gutachten hätte einfließen müssen, aber auch die in dem Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft erwähnten nicht näher spezifizierten Zeugenaussagen beziehungsweise die Zeugenaussage der Rettungsassistenten und die Anhörung der eingesetzten Polizeibeamten, innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG weder vorgelegt noch ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben (vgl. BVerfGE 78, 320 <327>; 88, 40 <45>; 93, 266 <288>; BVerfGK 5, 170 <171>).

Zudem wurde im Rahmen der Verfassungsbeschwerde nicht alles vorgelegt, was für die Beurteilung durch das BVerfG relevant gewesen wäre. Der Verfassungsbeschwerdeführer muss alle Verfahrensunterlagen innerhalb der Monatsfrist nach Karlsruhe liefern. Diese Unterlagen alleine müssen reichen, dass das BVerfG die Sache vollständig entscheiden kann. Das Gericht fordert also von selbst keine Verfahrensunterlagen an. Fehlt etwas Wichtiges, ist die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich unzulässig, da man seine prozessualen Pflichten nicht erfüllt hat.

2. Im Übrigen steht der Annahmefähigkeit der Verfassungsbeschwerde auch entgegen, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Beschwerdeführer im Ergebnis zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat.

Außerdem war bereits der Klageerzwingungsantrag beim Oberlandesgericht nicht nur unbegründet, sondern auch unzulässig. Somit wurde der normale Rechtsweg vor der Verfassungsbeschwerde nicht in ordentlicher Weise beschritten und gilt als nicht ausgeschöpft. Damit kann keine Verfassungsbeschwerde mehr eingelegt werden.

a) Ein Klageerzwingungsantrag ist grundsätzlich unzulässig, wenn in Bezug genommene Bestandteile in die Antragsschrift hineinkopiert werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2017 – 2 BvR 225/16 -, Rn. 7; VerfGH Berlin, Beschluss vom 30. April 2004 – VerfGH 128/03 -, Rn. 20 f.; OLG Düsseldorf, StV 1983, S. 498; OLG Celle, NStZ 1997, S. 406; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 16. Dezember 2014 – 1 Ws 521/14 -, Rn. 15). Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich den entscheidungserheblichen Sachverhalt selbst aus Anlagen zusammenzustellen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. September 2003 – 1 Ws 242/03 -, Rn. 8), insbesondere, wenn durch das Einkopieren von Strafanzeigen oder Beschwerdeschriften die Sachdarstellung verunklart wird. Ausnahmen hiervon werden nur für zulässig erachtet, wenn es auf den Wortlaut der eingefügten Unterlagen ankommt und das Hineinkopieren lediglich das – anderenfalls notwendige – vollständige Abschreiben dieser Unterlagen ersetzt. Entscheidend ist, dass das Gericht nicht gezwungen wird, sich den relevanten Verfahrensstoff aus einer Vielzahl (möglicherweise unsystematisierter) Kopien selbst zusammenzustellen (vgl. OLG Hamm, a.a.O., Leitsatz und Rn. 15).

Ein Ermittlungserzwingungsantrag unterliegt als Sonderform des Klageerzwingungsantrages (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 172 Rn. 19) jedenfalls insoweit grundsätzlich demselben Maßstab. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung daher bereits aus diesem Grunde unzulässig.

Der Antragsteller hat im Klageerzwingungsantrag den Sachverhalt nicht transparent dargelegt, sondern anscheinend nur Unterlagen zusammenkopiert, aus denen aber die Argumentation nicht verständlich war.

b) Darüber hinaus kommt statt der Klageerzwingung eine bloße Ermittlungserzwingung nur in engen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 175 Rn. 16 ff. m.w.N.).

aa) Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht aus rechtlichen Gründen verneint und deshalb den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht nicht aufgeklärt hat. (…)

Sonderfragen zu einem Ermittlungserzwingungsantrag, bei dem also schon die Aufnahme erster Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft abgelehnt wurde. Diese sind verfassungsrechtlich nicht weiter von Bedeutung.

bb) Soweit die Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund die Verletzung des aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Anspruchs auf effektive Strafverfolgung rügen, fehlt es sowohl an einer hinreichend substantiierten Auseinandersetzung mit den hierfür geltenden verfassungsgerichtlichen Maßstäben, als auch an einem den Verstoß belegenden Sachvortrag.

Die Verfassungsbeschwerdeführer hätten deutlicher machen müssen, warum unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier ein Anspruch bestehen soll.

Grundlage des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung ist vor allem die staatliche Schutzpflicht für höchstpersönliche Rechtsgüter. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichten den Staat, sich dort schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren, wo dieser nicht selbst für ihre Integrität sorgen kann (vgl. BVerfGE 39, 1 <42>; 46, 160 <164>; 121, 317 <356>; BVerfGK 17, 1 <5>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2018 – 2 BvR 1550/17 -, Rn. 38). Ein Anspruch auf bestimmte einklagbare Maßnahmen ergibt sich aus diesem aber grundsätzlich nicht, weil die Rechtsordnung in der Regel keinen grundrechtlich radizierten Anspruch auf eine Strafverfolgung Dritter kennt (vgl. BVerfGE 51, 176 <187>; 88, 203 <262 f.>; BVerfGK 17, 1 <5>; BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 9. April 2002 – 2 BvR 710/01 -, Rn. 5; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2020 – 2 BvR 859/17 -, Rn. 20; stRspr).

In aller Regel gibt es keinen aus den Grundrechten folgenden Anspruch auf Strafverfolgung. Dies ist nur in besonderen Ausnahmefällen anders.

Die Staatsanwaltschaft hat umfangreiche Ermittlungen dazu durchgeführt, inwieweit der Nachweis geführt werden kann, dass das Verhalten der an der Festnahme des Sohnes der Beschwerdeführer beteiligten Polizeibeamten (zumindest auch) todesursächlich war. Es ist nicht ersichtlich, dass die begehrten Ermittlungen oder Schlussfolgerungen geeignet wären, einen hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO – also die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung der Beschuldigten in einer Hauptverhandlung – zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2018 – 2 BvR 1550/17 -, Rn. 21)…..”

Hier hat die Staatsanwaltschaft aber zumindest gewisse Ermittlungen durchgeführt, ist auf deren Basis aber zu der Entscheidung gekommen, kein formelles Strafverfahren einzuleiten. Die Verfassungsbeschwerdeführer konnten weder im Klageerzwingungsverfahren noch in der Verfassungsbeschwerde das jeweilige Gericht überzeugen, dass diese Entscheidung falsch war.

Einschätzung durch Rechtsanwalt Thomas Hummel:

Das Bundesverfassungsgericht hat seine bisherige Rechtsprechung zu Klageerzwingungsverfahren bestätigt. Während diese früher praktisch gar nicht verfassungsrechtlich überprüfbar waren, ist dies mittlerweile möglich. Die Überprüfungsmöglichkeiten wurden mit der Zeit auch noch etwas ausgeweitet. Diese Entscheidung zeigt allerdings keine weitere Ausweitung.

Die Grundrechte beinhalten einen Anspruch auf Strafverfolgung von anderen Personen weiterhin nur

  • bei erheblichen Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung und die Freiheit der Person
  • bei Delikten von Amtsträgern
  • bei Straftaten, bei denen sich die Opfer in einem besonderen Obhutsverhältnis zur öffentlichen Hand befinden, und
  • bei willkürlichen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft.

Außerdem muss – wie in anderen Fällen auch – zunächst der allgemeine Rechtsweg beschritten werden. Dazu gehört aber auch, dass dieser Rechtsweg nicht nur „irgendwie“ beschritten wird, sondern alle Möglichkeiten auch korrekt genutzt wurden, sodass die zuvor befassten Gerichte auch in der Sache entscheiden konnten. Wird ein Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen, wurde der Rechtsweg in der Regel nicht korrekt genutzt und der weitere Weg zur Verfassungsbeschwerde ist verbaut.

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