AG München, Urteil vom 29.09.2015, 425 C 11160 / 15

Die Mieterin schloss 1976 den Mietvertrag über eine Wohnung im vierten Obergeschoss ab. Zu dieser Zeit war ein Personenaufzug im Haus vorhanden, dieser war jedoch im Mietvertrag nicht als Bestandteil der Mietsache ausgewiesen.

Ca. vier Jahrzehnte später (der gerichtliche Rechtsstreit begann, wie das Aktenzeichen zeigt, im Jahr 2015) baute der Vermieter den Aufzug aus. Daraufhin verlangte die Mieterin den Wiedereinbau eines funktionstüchtigen Aufzugs.

Das Amtsgericht München gab ihr Recht. Denn der Vermieter muss während der gesamten Mietzeit den Zustand bereitstellen, der am Anfang des Mietverhältnisses herrschte. Dass der Aufzug im Vertrag nicht ausdrücklich zugesichert wurde, spielt insoweit keine Rolle. Denn gemietet ist die Wohnung stets in dem Zustand, in dem sie sich anfangs befand. Zumindest zugunsten des Mieters gilt hier der Grundsatz „gemietet wie gesehen“.

AG München, Urteil vom 10.12.2015, 461 C 19626/15

Der Vermieter hat das Recht, die Mietwohnung zu besichtigen, wenn seit der letzten Besichtigung fünf Jahre vergangen sind oder es Anhaltspunkte für Mängel an der Wohnung gibt.

Aus der Wohnung des Mieters drang unangenehmer Geruch, den die Hausverwaltung auf Schimmel, Fäulnis oder Verwesung zurückführte. Der daraufhin alarmierte Vermieter wollte die Wohnung daher besichtigen, was der Mieter jedoch verweigerte. Anerkannt ist zwar, dass anlasslose Besichtigungen oder routinemäßige Kontrollen nicht zulässig sind, hier lagen jedoch zweierlei Gründe für ein Besichtigungsverlangen vor:

Zum einen begründete der Geruch die Sorge, dass mit der Wohnung irgendetwas nicht in Ordnung war. Ein Geruch, der derart erheblich ist, dass er sogar außerhalb der Wohnung auffällt, lässt befürchten, dass er einen Grund hat, der auch die Sachsubstanz der Wohnung gefährdet – z.B. übermäßige Tierhaltung, Schimmel, unzureichende Müllentsorgung etc. Insoweit ist es das gute Recht des Vermieters, sich ein Bild von der Lage zu machen und ggf. den Mieter zur Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten zu mahnen.

Andererseits stützt des Amtsgericht seine Entscheidung auch auf einen weiteren interessanten Gesichtspunkt: Nach allgemeiner Auffassung sind Schönheitsreparaturen an der Wohnung alle fünf Jahre notwendig. Diese sind die Pflicht des Vermieters, sofern er sie nicht – was ohnehin meist unwirksam ist – auf den Mieter abgewälzt hat. Also besteht fünf Jahre nach der letzten Besichtigung automatisch ein Anlass für den Vermieter, die Wohnung erneut zu besichtigen. Dies ist dann gerade keine (unzulässige) anlasslose Kontrolle.

AG Laufen, Urteil vom 04.02.2016, 2 C 565/15 WEG

In der Teilungserklärung einer Wohnungseigentümergemeinschaft war festgehalten, dass die Wohnungen des Hauses Wohnzwecken dienen sollten.

Einer der Eigentümer hat seine Wohnung jedoch an den Freistaat Bayern vermietet, die darin Asylbewerber unterbrachte. Die Wohnungseigentümergemeinschaft hat auf ihrer Sitzung deswegen den Beschluss gefasst, die Unterbringung von Asylbewerbern in der Anlage zu untersagen.

Mit seiner Klage gegen diesen Beschluss hatte der Eigentümer vor dem AG Laufen Erfolg.

Zwar kann die Eigentümergemeinschaft mehrheitlich bestimmte Arten der Nutzung erlauben oder verbieten. Dies dient jedoch nur der Konkretisierung des „ordnungsgemäßen Gebrauchs“ der Wohnung. Dieser wiederum kann sich nur aus der Teilungserklärung oder aus der Gemeinschaftsordnung ergeben, nicht aus bloßen Beschlüssen der Eigentümergemeinschaft.

Zu den in der Teilungserklärung genannten Wohnzwecken gehört schon vom Wortsinn her auch das Bewohnen durch Asylbewerber. Auch stelle die Vermietung nicht deswegen unzulässige Nutzung dar, weil durch Asylbewerber eine größere Abnutzung der gesamten Anlage oder häufigere Belästigungen zu erwarten seien als durch dauerhafte Bewohner. Hierfür gäbe es keine Anhaltspunkte.

Bewertung:

Das Urteil begegnet gewissen Bedenken. Zwar ist es natürlich richtig, dass der Wohnungseigentümer seine Wohnung so nutzen darf wie er es für richtig hält. Allerdings ist die Nutzung durch nur vorübergehende Bewohner erfahrungsgemäß doch eine andere als durch permanente Bewohner, seien diese nun die Eigentümer selbst oder nur Mieter. Bei Asylbewerbern ist zumindest nicht auszuschließen, dass diese in absehbarer Zeit in ihr Heimatland zurückkehren oder anderweitig untergebracht werden.

Das AG Laufen bezog sich bei seiner gegenteiligen Ansicht auf eine Vermietung an Feriengäste – also eine emotional deutlich weniger aufgeladene Situation als Asylbewerber. Gerade bei Feriengästen ist durchaus zu befürchten, dass diese weniger sorgsam mit dem Mobiliar und – was für die anderen Eigentümer entscheidend ist – den Gemeinschaftseinrichtungen umgehen. Auch muss Urlaubern weniger am Hausfrieden liegen, da diese nach wenigen Tagen wieder abreisen und es kaum von Bedeutung für sie ist, ob sie mit den Nachbarn dauerhaft gut auskommen würden.

Insofern ist das Interesse der WEG daran, dass eine einigermaßen stabile Bewohnerstruktur erhalten wird, nicht von der Hand zu weisen. Wer dies absichern will, muss allerdings darauf drängen, bereits in die Teilungserklärung aufzunehmen, dass kurzfristige Vermietungen unzulässig sind.

OLG Hamm, Urteil vom 29.01.2013, 4 U 171/12

Ein Unternehmen kann sich ohne Weiteres nach dem Ort benennen, in dem es seinen Sitz hat (z.B. Tanzschule Musterstadt). Daran liegt kein unlauterer Wettbewerb gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG, da nicht behauptet wird, dies sei die einzige Tanzschule in Musterstadt (Alleinstellungswerbung) oder die beste oder führende Tanzschule (Spitzenstellungswerbung).

OLG Oldenburg, Urteil vom 05.03.2015, 15 EK 1/14

Seit Ende 2011 gibt es nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einen Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Strafverfahrens (§ 199 i.V.m. § 198 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz, GVG). Zuständig hierfür ist in erster Instanz das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das Verfahren stattfand (§ 201 Abs. 1 GVG).

Das OLG Oldenburg hat entschieden, dass für die Berechnung der Dauer der Verfahrenslänge nicht die formelle Eröffnung des Strafverfahrens maßgeblich ist, sondern die Kenntniserlangung des Beschuldigten. Dies ist folgerichtig, da nur so der Tatsache Rechnung getragen wird, dass es nicht die objektive Verfahrensdauer ist, die den Beschuldigten belastet, sondern das Bewusstsein, dass ihm eine strafgerichtliche Verurteilung droht. Diese Dauer der Ungewissheit soll so kurz wie möglich gehalten werden, um den Bürger nicht unnötig zu belasten.

Im vorliegenden Fall betrug die so errechnete Dauer des Ermittlungsverfahrens lediglich zehn Monate. Dies hält sich durchaus im üblichen Rahmen, eine rechtsstaatswidrige Verzögerung lag nicht vor. Daher wurde keine Entschädigung zuerkannt und die Klage abgewiesen.

Im Übrigen ist auch die Länge der Ermittlungen allein noch kein Anhaltspunkt für eine Entschädigung. Notwendig ist vielmehr, dass das Verfahren nicht ordnungsgemäß beschleunigt und zügig geführt wurde. Sind zeitraubende Einzelmaßnahmen wie die Einholung von Gutachten notwendig, wird das Verfahren allein dadurch noch nicht „überlang“.

BGH, Urteil vom 10.04.2013, VIII ZR 379/12

Der Mieter einer Wohnung war desöfteren in Zahlungsschwierigkeiten und konnte seine Miete teilweise nicht bezahlen. Der Vermieter drohte daraufhin eine Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB an. Um dies zu verhindern, erklärte die Schwester des Mieters, für alle Mietzahlungen zu bürgen.

Als das Mietverhältnis einige Jahre später endete, waren über 7000 Euro an Miete und Nebenkosten offen, die der Vermieter nun von der bürgenden Schwester des Mieters verlangte. Diese verweigerte die Bezahlung des Großteils dieser Summe, da sie meinte, die Bürgschaft sei eine ganz normale Mietsicherheit, die nur für maximal drei Monatsmieten (hier: 1050 Euro) zu stellen sei.

Die Instanzgerichte und schließlich auch der BGH waren anderer Meinung. Zwar kann eine Bürgschaft auch eine Form der Kautionserbringung sein, die dann tatsächlich auf drei Monatsmieten beschränkt ist; mehr darf der Vermieter nicht verlangen (§ 551 Abs. 1 BGB). Hier handelte es sich aber um eine Bürgschaft, die gerade im Interesse des Mieters erfolgt sei. Denn dieser wollte die Kündigung, zu der der Vermieter ohne Weiteres berechtigt war, abwenden. Daher bedurfte es einer zusätzliche Sicherheit ohne höhenmäßige Beschränkung, um den Vermieter von der Beendigung des Mietverhältnisses abzuhalten. Die normale Mietkaution hätte keiner der Parteien weitergeholfen.

Mehr noch: Die Vorschrift des § 551 Abs. 1, die zum Schutz des Mieters da ist, würde sich zu seinem Nachteil auswirken, da er keine Möglichkeit hätte, seine Bonität gegenüber dem Vermieter mit Hilfe anderer Personen zu erhöhen. Dem Vermieter bliebe dann nur, von seinem Kündigungsrecht Gebrauch zu machen, wenn er eigene finanzielle Risiken vermeiden will.

BGH, Urteil vom 18.11.2015, VIII ZR 266/14

Bei Mieterhöhungen kommt es immer nur auf die tatsächliche Größe der Wohnung an, nicht auf die im Vertrag vereinbarte Größe. Auch, wenn die Wohnung laut Mietvertrag kleiner ist als in Wirklichkeit, kann sich der Vermieter auf die tatsächliche Wohnungsgröße berufen. Denn die Mieterhöhung soll ihm ermöglichen, die Wohnung zu einem marktangemessenen Preis zu nutzen; eine zu gering vereinbarte Wohnungsgröße soll keine Fiktion herbeiführen, die Wohnung sei dauerhaft weniger wert.

Es ist allgemein bekannt, dass der Vermieter am besten keine Angaben zur Wohnungsgröße im Mietvertrag macht, um keine Mietminderung zu provozieren. Allerdings kommt er um ein Vermessen der Wohnung nicht herum, wenn er irgendwann einmal die Miete erhöhen will. Denn ohne Größenangabe ist eine Mieterhöhung praktisch nicht denkbar. Der Mietspiegel (§ 558a Abs. 1 Nr. 1) und die Mietdatenbank (Nr. 2) bauen auf der Quadratmeterzahl auf und Vergleichswohnungen (Nr. 4) können nur herangezogen werden, wenn das Hauptvergleichskriterium Wohnungsgröße feststellbar ist. Lediglich das Sachverständigengutachten (Nr. 3) kommt zunächst ohne Größenangabe aus, weil der Gutachter die Größe natürlich bei dieser Gelegenheit feststellt. Da dieses Gutachten aber nicht billig ist, wird es sehr selten herangezogen.

Spätestens bei der Mieterhöhung muss man also Farbe bekennen – und sollte zudem berücksichtigen, dass die Feststellung der Wohnungsgröße oft nicht so einfach ist, weil Messfehler nie ganz auszuschließen sind und zudem für verschiedene Nebenfächen (z.B. Balkone und Dachgärten, § 4 Nr. 4 der Wohnflächenverordnung) kein fester Berechnungsmaßstab besteht.

OLG Nürnberg, Urteil vom 26.07.2010, 14 U 220/10

Für Anwälte ist es von entscheidender Bedeutung, ob sie lediglich beraten oder ein Geschäft betreiben. Für ersteres sieht § 34 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG) maximal 190 bzw. 250 Euro vor. Kommt es dagegen zum „Betreiben des Geschäfts“, so kann die Geschäftsgebühr Nr. 2300 des Vergütungsverzeichnisses (RVG-VV) verlangt werden. Diese beträgt das 0,5- bis 2,5-Fache der Standardgebühr, regelmäßig das 1,3-Fache; bei 10.000 Euro Gegenstandswert sind das bspw. 725 Euro, bei 50.000 Euro schon 1500 Euro.

Nun ist es aber so, dass praktisch jedes Mandat zunächst mit einer Beratung beginnt. Es stellt sich also die Frage, wann die Schwelle von dieser Beratung zur Geschäftsbetreibung überschritten ist. Unumstritten ist Folgendes:

  • Geht die Tätigkeit des Anwalts über Beratung und Begutachtung nicht hinaus, ist § 34 vorrangig, die Geschäftsgebühr entsteht nicht.
  • Vertritt der Anwalt den Mandanten nach außen, betreibt er immer ein Geschäft.

Die herrschende Meinung geht zudem davon aus, dass es bereits reicht, wenn die Vertretung nach außen vom Auftrag erfasst ist. Nicht entscheidend ist dann, ob es zur Vertretung auch wirklich kommt oder sich die Sache anderweitig erledigt.

Das Nürnberger Oberlandesgericht hatte sich nun mit einem Fall zu beschäftigen, bei dem der Anwalt Schriftstücke gefertigt hat, mit denen der Mandant selbst nach außen auftreten sollte. Dabei handelte es sich um ein Zahlungsaufforderungs- und um ein Mahnschreiben, das er dem Mandanten überließ, damit dieser sie dann selbst verwendete und im eigenen Namen versandte.

Das reicht nach Ansicht des OLG für ein Betreiben noch nicht aus:

Die Geschäftsgebühr nach RVG-VV Nr. 2300 entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags (Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 zum RVG-VV). Sie entsteht nicht, soweit sich die Tätigkeit des Anwalts auf die Erteilung eines Rats oder einer Auskunft beschränkt. § 34 genießt insoweit gegenüber RVG-VV Nr. 2300 Vorrang. Letzteres ist der Fall, wenn der Rechtsanwalt auftragsgemäß nur im Innenverhältnis zum Mandanten beratend tätig wird, also kein anderes Geschäft, vor allem keine Vertretung des Mandanten mit der Beratung verbunden ist.

In der Formulierung „für das Betreiben des Geschäfts“ kommt demgegenüber zum Ausdruck, dass es sich um die Gebühr handelt, nach der grundsätzlich die außergerichtliche Vertretung abzurechnen ist; man spricht insoweit auch generell von der „Betriebsgebühr“. Es kommt somit darauf an, ob der Rechtsanwalt auftragsgemäß auch nach außen wirken soll.

Ein solches Wirken nach Außen oder gar eine Vertretung liegt nicht vor, wenn der Rechtsanwalt auftragsgemäß lediglich ein vom Auftraggeber selbst zu unterzeichnendes Schreiben oder eine sonstige einseitige Erklärung entwirft. RVG VV Nr. 2300 fordert nach einhelliger Meinung ein Mehr gegenüber der Ratserteilung. Ein solches Mehr liegt nicht bereits dann vor, wenn der Rechtsanwalt – wie hier – ein Schreiben des Mandanten „vorformuliert“. Dies stellt lediglich einen Rat an den Mandanten dar, ein Schreiben zu verfassen und welchen Inhalt dieses haben soll. Eine solche Anwaltstätigkeit ist nicht – wie typischerweise bei einer Vertretung – nach außen gerichtet.

Die Formulierung eines Schreibens wird also nur als Rat gesehen, dieses Schreiben zu verschicken. Von wem das Schreiben entworfen worden ist, erfährt tritt aber nicht nach außen, vielmehr kann der Adressat den Brief nur als vom Mandanten selbst stammend auffassen. Notwendig für die Annahme einer Geschäftsbetreibung ist also jedenfalls eine für Dritte erkennbare Tätigkeit des Anwalts im Namen seines Mandanten.

KG, Urteil vom 15.03.2013, 5 U 41/12

Das Kammergericht, das in Berlin dem Oberlandesgericht entspricht, hat entschieden, dass der Name einer Gebietskörperschaft (Gemeinde, Landkreis, Bezirk, Bundesland) den allgemeinen Namensschutz des § 12 BGB genießt. Niemand außer der Gebietskörperschaft selbst darf diesen benutzen.

Dies gilt auch bei der Verwendung von Domain-Namen. Auch die Verwendung einer anderen Domainendung (Top-Level-Domain) als das übliche .de (hier: .com) ändert daran nichts. Die Domain steht ausschließlich der Gebietskörperschaft selbst zu, da man deren Inhalte und der Domain erwartet:

Aus der Verwendung der Top-Level-Domain „.com“ entnimmt der Internetnutzer nicht, dass es sich um das Informations- und Dienstleistungsangebot eines Dritten und nicht des Namensträgers handelt.

OLG SH, Beschluss vom 16.07.2015, 3 Wx 19/15

Ein Testament muss – wenn kein öffentliches, notarielles Testament vorliegt (§ 2232 BGB) – bekanntlich handschriftlich verfasst sein (§ 2247 Abs. 1 BGB). Nicht nur die Unterschrift muss handschriftlich sein, sondern auch der gesamte Inhalt. Dies soll eine erhöhte Sicherheit dafür geben, dass der Erblasser sich der Bedeutung seiner Verfügung bewusst war und sie zudem auch tatsächlich von ihm stammt.

Handschriftliche Erklärungen bergen aber immer die Gefahr der Unlesbarkeit. Was ist nun, wenn man ein Testament schlicht nicht entziffern kann? Diesen Fall hatte nun das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zu entscheiden.

Das Gericht ist der Ansicht, dass die Lesbarkeit Teil der Formvorschrift ist. Denn der geschriebene Text ist Ausgangspunkt der Auslegung. Eine solche kann aber nicht geschehen, wenn man nicht einmal weiß, welche Worte der Erblasser überhaupt gewählt hat. Dabei ist eine schwere Lesbarkeit unschädlich, sofern zumindest durch Hinzuziehen eines Sachverständigen eine sichere Entzifferbarkeit gegeben ist.

Interessant ist auch, dass das Gericht es abgelehnt hat, den Inhalt des Testaments durch die Vernehmung einer Zeugin, die die Erblasserin gekannt hat, feststellen zu lassen. Dies hat das Gericht wie folgt begründet:

Eine Vernehmung der Zeugin Marlies S. dazu, was die Erblasserin hat erklären wollen, verbietet sich. Nur der formwirksam verlautbarte Wille der Erblasserin ist maßgeblich. Deshalb muss der Inhalt des vom Erblasser Erklärten seinem Wortlaut nach vollständig aus der Urkunde zu entnehmen sein. Soweit diese unlesbar ist, können außerhalb der Urkunde liegende Umstände und die Aussagen von Zeugen nicht darüber hinweghelfen

Mit anderen Worten: Dass die Erblasserin möglicherweise ein Testament mit einem bestimmten Inhalt errichten wollte, ist nicht relevant. Es kommt nur darauf an, was sie tatsächlich geschrieben hat.

Die Frage „Wie hat sie das Testament gemeint?“ kann sich also erst stellen, wenn die Frage „Was hat sie geschrieben?“ beantwortet ist.

Welche Schwierigkeiten das Gericht hatte, dies festzustellen, lässt sich aus den Urteilsgründen erahnen:

Der Senat – Spezialsenat für Nachlassangelegenheiten – ist trotz langjähriger Erfahrung mit der Entzifferung schwer lesbarer letztwilliger Verfügungen nicht in der Lage, das Schriftstück soweit zu entziffern, dass es einen eindeutigen Inhalt erhält. Er geht mit dem Nachlassgericht davon aus, dass die ersten drei Worte „ich Ruth H.“ und die letzten Worte „Kathrin G. geb. 13.12.74“, gefolgt von der Unterschrift und der Zahlreihe „06.04.12“ lauten. Diese Worte weisen die Erblasserin als Erklärende aus und lassen einen Bezug der Erklärung zu der Beteiligten zu 2., die namentlich und mit ihrem Geburtsdatum genannt wird, erkennen. Die letzten vier Zahlen könnten auf den 06. April 2012 als Tag der Niederschrift hinweisen.

In der Mitte des Textes verbleiben jedoch einige nicht zweifelsfrei lesbare Worte. Selbst wenn es sich bei den Buchstaben in der linken Hälfte der zweiten Zeile um ein einziges Wort handeln sollte – obgleich zwischen dem zweiten und dritten Buchstaben eine Lücke ist – und dieses Wort als „vermache“ zu lesen wäre, bliebe doch eine Ungewissheit wegen der verbleibenden beiden Worte. Selbst wenn feststünde, dass die Erblasserin – sollte das Schriftstück von ihr stammen – der Beteiligten zu 2. etwas „vermachen“ wollte, bliebe unklar, was genau dies sein sollte. Das Bezugsobjekt des „Vermachten“ ist nicht lesbar. Der Senat kann die fraglichen Worte weder im Sinne von „vermache alles meiner“ – wie es die Beteiligte zu 2. lesen möchte – noch in anderer Weise, die einen eindeutigen Inhalt ergäbe, lesen.

Die Ungewissheit über den Inhalt des Geschriebenen lässt sich nicht unter Zuhilfenahme der Feststellungen, die die vom Nachlassgericht herangezogene Sachverständige Mechthild N. getroffen hat, beseitigen. Die Sachverständige hat zwar das erste der drei umstrittenen Worte als „vermache“ identifiziert. Wie sie in der mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens näher dargelegt hat, hat sie sich hierbei auf einen Vergleich der Linienführung mit der Schreibweise einzelner Buchstaben, die in dem Schriftstück mehrfach vorkommen, gestützt. Sie hat bei der Identifizierung des Wortes aber den Vorbehalt gemacht, dass einzelne darin vorkommende Buchstaben, insbesondere das „a“ und das „c“, schwer gestört seien. Sie sind in der Tat als solche nicht erkennbar und lassen sich allenfalls daraus herleiten, dass die Buchstabenfolge nur auf diese Weise ein sinnvolles Wort ergäbe. Gleichwohl ist die Sachverständige letztlich mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer richtigen Entzifferung dieses Wortes ausgegangen.

Nicht zu entziffern waren auch für sie die beiden anderen Worte. Die letzten beiden Buchstaben des zweiten Wortes in der zweiten Zeile hat die Sachverständige als „es“ erkannt. Hieraus ließe sich, so die Sachverständige sinnvoll das Wort „alles“ bilden. Sie hat sich jedoch nicht festlegen wollen, dass die Buchstaben tatsächlich so zu ergänzen seien. Zum einen, so die Sachverständige, wäre das Wort falsch, nämlich nur mit einem „l“, geschrieben. Zum anderen lasse sich der Anfangsbuchstabe nicht sicher lesen; er könne ein „a“, „n“ oder „w“ darstellen. Der Senat ergänzt, dass eine weitere Unsicherheit dadurch entsteht, dass der mittlere steile Bogen in der Buchstabenfolge nicht höher ist als die restlichen Bögen und Rundungen des Wortes. Dies erhöht die Unsicherheit noch, dass es sich dabei um ein „l“ handeln könnte. Dies gilt zumal bei einem Blick auf die im Text mehrfach vorkommenden vergleichbaren Buchstaben „h“, „t“, „b“, die alle mit mehr oder weniger deutlich ausgeprägtem Oberstrich geschrieben sind.

Auch das erste Wort in der dritten Zeile blieb für die Sachverständige „hochproblematisch“. Sie hat es ausdrücklich nur unter diesem Vorbehalt als das Wort „nach“ interpretiert. In der Tat ist kaum nachvollziehbar, wie die Rundung am rechten Rand des Schriftzugs zu erklären wäre, wenn der letzte Buchstabe ein „h“ wäre. Sie deutet eher auf ein „e“ hin. Dass die Beteiligte zu 2. ihrerseits in dem Schriftzug das Wort als „meiner“ erkennt, zeigt erst recht die Unsicherheit über die zutreffende Lesart.