Die Klagen der AfD-Fraktion im Bundestag gegen das Regierungshandeln in der Asylkrise wurden vom Bundesverfassungsgerichts zurückgewiesen. Die drei Anträge seien unzulässig.
Gerügt wurde durch die Klage in erster Linie ein eigenmächtiges Handeln der Bundesregierung ohne gesetzliche Grundlage und damit auch ohne Genehmigung durch den Bundestag. Dies sei, so die AfD-Fraktion, verfassungswidrig.
Fraktion kann Rechte des ganzen Bundestags wahrnehmen
Dafür steht grundsätzlich das Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG) zur Verfügung, eine Verfahrensart, mit der Verfassungsorgane die Verletzung ihrer Rechte durch andere Verfassungsorgane geltend machen können. Dabei kann auch eine Fraktion Rechte des gesamten Bundestags wahrnehmen.
Zu einer Sachentscheidung darüber, ob die faktische Grenzöffnung durch die Bundesregierung ab dem Jahr 2015 verfassungskonform war, kam es nicht, da das Bundesverfassungsgericht schon die Zulässigkeit der Anträge verneinte. Das bedeutet, dass die Richter davon ausgingen dass das erstrebte Ziel in diesem Verfahren gar nicht erreicht werden konnte. Anders gesagt, für diese Art von Anträgen ist das Organstreitverfahren nicht da.
Allgemeine Feststellungen nicht möglich
Bei den Anträgen Nr. 2 und 3 war die Sachlage relativ klar:
Der zweite Antrag wollte feststellen lassen, dass ein parlamentarisches Gesetz notwendig wäre, um Migration nach Deutschland zu dulden. Solche allgemeinen Feststellungen können im Organstreitverfahren nicht erreicht werden. Notwendig ist vielmehr die Darlegung einer Rechtsverletzung in der Vergangenheit – dieser Antrag zielt aber auf eine Feststellung für die Zukunft ab.
Der dritte Antrag zielte auf die Feststellung, dass Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen sind, wenn davon auszugehen ist, dass ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Auch das ist eine allgemeine zukünftige Feststellung. Zudem würde eine solche Feststellung eine Verpflichtung eines Verfassungsorgans zu einer Handlung zur Folge haben. Auch dafür ist das Organstreitverfahren nicht da.
Hätte der Bundestag entscheiden müssen?
Interessanter ist aber der erste Antrag:
Mit diesem wird geltend gemacht, dass durch die von der Bundesregierung bewirkten Grenzöffnung die Beteiligungsrechte des Bundestags verletzt wurden. Die Bundesregierung hätte dies nicht alleine entscheiden können, sondern nur aufgrund eines Gesetzes des Bundestags handeln dürfen.
Hierzu schreibt das Bundesverfassungsgericht (Rdnr. 23 bis 25):
Mit dem Antrag zu 1. begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass die Antragsgegnerin durch die Duldung der Einreise bestimmter Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages verletzt habe, soweit dadurch zugleich politische Grundentscheidungen und die parlamentarische Kontrolle der laufenden Migrationsbewegungen betroffen seien. Alle wesentlichen Fragen der Migration sind ihrer Ansicht nach von dem Parlament in einem „Migrationsverantwortungsgesetz“ zu normieren. In der den Antrag konkretisierenden Antragsbegründung heißt es sodann allerdings, die Antragstellerin selbst sei „am allerwenigsten“ bereit, entsprechende Gesetze zur Legalisierung des Handelns der Bundesregierung im Bundestag zu initiieren.
Die Antragstellerin hält mithin ein „Migrationsverantwortungsgesetz“ mit Blick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung für notwendig, kündigt indes zugleich an, an dessen Initiierung im Deutschen Bundestag nicht mitwirken zu wollen. Ihr geht es damit nicht um die Durchsetzung eigener oder dem Deutschen Bundestag zustehender (Beteiligungs-)Rechte, sondern um das Unterbinden eines bestimmten Regierungshandelns. Nach Auffassung der Antragstellerin schreiben die bestehenden gesetzlichen Regelungen eine Zurückweisung von Schutzsuchenden an der Grenze vor; diese Gesetze seien von der Antragsgegnerin einzuhalten. Die Antragstellerin erstrebt damit keine Befassung des Deutschen Bundestages zum Zwecke der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, sondern die Kontrolle eines bestimmten Verhaltens der Antragsgegnerin durch das Bundesverfassungsgericht. Deren Verhalten kann im Organstreitverfahren aber nicht isoliert beanstandet werden; ebenso wenig kann auf diesem Wege eine Respektierung von (Verfassungs-)Recht erzwungen werden (vgl. auch BVerfGE 118, 277 <319>).
Geht es der Antragstellerin aber nicht um die Durchsetzung von Mitwirkungs- und Beteiligungsrechten in Gestalt des Erlasses von Parlamentsgesetzen, wird nicht deutlich, welche sonstigen Kompetenzen sie in die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens begründender Weise für sich in Anspruch nehmen könnte. Auch der Verweis auf die nach ihrer Ansicht für die Problematik der Einreisegestattung bedeutsamen Vorgaben des Asyl- und Aufenthaltsrechts verfängt nicht. Fragen der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts jenseits verfassungsrechtlicher Rechtspositionen begründen keine Antragsbefugnis im Organstreitverfahren (vgl. auch BVerfGE 118, 277 <319>).
Dieser Teil der Entscheidung überzeugt mich nicht. Die Behauptung, dass Gesetzgebungsbefugnisse des Bundestags verletzt wurden, ist ein unstreitig zulässiges Begehren des Organstreits.
Muss die Fraktion ein Gesetz wollen?
Wenn das BVerfG nun aber behauptet, dass diese Befugnisse nur verletzt seien, wenn die Fraktion innerhalb des Bundestags auf ein solches Gesetz hinwirken will, dann erschließt sich das nicht. Denn selbstverständlich ist es ein völlig legitimer Standpunkt einer Partei, dass sie das momentan geltende Recht für sachlich sinnvoll hält und gerade kein neues Gesetz verabschiedet wissen will.
Trotzdem (und gerade dann!) ist es ein Anliegen des Bundestags, dass die Bundesregierung nicht entgegen diesem Gesetz Fakten schafft. Der Kernvorwurf ist ja, dass die Bundesregierung praktisch ein neues Gesetz geschaffen hat, was ihr aber nicht zusteht, weil sie Exekutive und nicht Legislative ist. Das muss der Bundestag prüfen lassen können und dieses Prüfungsrecht kommt jeder Fraktion zu.
Auch Nichthandeln ist Handeln
Ansonsten würde das bedeuten, dass nur die Fraktion ein Organstreitverfahren anstrengen könnte, die ohnehin eine Gesetzesänderung bewirken will. Dann könnten also nur diejenigen Mitglieder des Bundestags die Bundesregierung verklagen, die das wollen, was die Bundesregierung sowieso tut. Oder diese Fraktion müsste zumindest pro forma so tun als wollte sie an einem entsprechenden Gesetz (ggf. mit etwas abweichendem Inhalt) mitwirken.
Diese sehr hohen Anforderungen an eine Rechtsverletzung blenden zudem völlig aus, dass es auch ein vollwertiges Handeln eines Verfassungsorgans darstellt, die Rechtslage bewusst nicht zu ändern, obwohl es das könnte. Das ist aber keine Veranlassung für ein anderes Verfassungsorgan, dessen Kompetenzen an sich zu reißen. Und wenn es das doch tut, ist das nicht nur ein objektiver Rechtsverstoß, sondern verletzt selbstverständlich auch die Rechte des Verfassungsorgans, das eigentlich zuständig wäre.
Keine Klärung der Sachfrage
Dadurch, dass die Klage schon an der Zulässigkeit gescheitert ist, hat sich das Bundesverfassungsgericht aber auch das Recht bzw. die Pflicht genommen, über die Anträge in der Sache zu entscheiden. Das BVerfG äußert sich also in keiner Weise dazu, ob das Handeln der Regierung Merkel in der Asyl- und Migrationspolitik rechtmäßig war. Die erhoffte höchstgerichtliche Klärung, an der alle Beteiligten ein Interesse gehabt hätten, bleibt somit aus.
1 Gedanke zu „BVerfG, 11.12.2018, 2 BvE 1/18 (AfD-Klage zur „Grenzöffnung“)“
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