OLG Nürnberg, Beschluss vom 21.05.2008, 2 St OLG Ss 11/08

In dieser instruktiven Entscheidung hatte sich das OLG mit Rechtsfragen der Strafzumessung auseinanderzusetzen. Der Angeklagte war vom Amtsgericht wegen Diebstahls zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Auf seine Berufung hin bestätigte das Landgericht das Urteil. In der Revisionsinstanz hob das OLG jedoch die Strafzumessung auf und verwies die Sache insoweit an das Landgericht zurück.

Im Einzelnen wurden folgende Fehler erkannt:

  • Das LG hat zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass er die gestohlene Sache über längere Zeit in Besitz gehabt hat. Es gehört jedoch zum Tatbestand des Diebstahls, dass der Dieb sich die Sache aneignet.
  • Außerdem hätte nicht zu Lasten des Täters berücksichtigt werden dürfen, dass er keine Schadenswiedergutmachung geleistet hat. Eine Entschädigung des Opfers kann lediglich zum Vorteil des Verurteilten gewertet werden. Das Fehlen eines solchen Strafmilderungsgrunds darf sich aber nicht strafschärfend auswirken.
  • Außerdem hat der Angeklagte die gestohlenen Maschinen umlackiert und ihre Typenschilder entfernt. Das darf sich aber nicht zu seinem Nachteil auswirken, da es dem Täter nicht anzulasten ist, wenn er Tatspuren beseitigt, um sich selbst zu schützen.

Hinweise für Studenten/Referendare:

Die Entscheidung beinhaltet einige typische Strafzumessungsfehler, die einem in Klausuren immer wieder begegnen. Insbesondere die Abgrenzung zwischen dem Vorliegen erschwerender Tatumstände und dem Nichtvorliegen von Milderungsgründen ist häufig nicht ganz offensichtlich.

Bevor man in die Prüfung der Strafzumessung einsteigt, sollte man stets klarstellen, dass die Strafzumessung Sache des Tatrichters ist und das Revisionsgericht nicht etwa eigene Zumessungserwägungen anstellen darf. Angreifbar ist die Strafzumessung vielmehr nur von Rechts wegen, es müssen also in den Urteilsgründen gesetzeswidrige Erwägungen zu finden sein. Ein Ausgangspunkt hierfür ist § 46 StGB, der aber nur sehr allgemeine Kriterien enthält, die intensiver Auslegung bedürfen.

Eine prozessuale Zusatzfrage könnte noch auf § 354 Abs. 1a StPO zielen, der das weitere Vorgehen bei einer erfolgreichen Strafzumessungsrevision betrifft:

  • Satz 1 erlaubt eine Verwerfung der Revision, wenn das Strafmaß trotz der vorliegenden Rechtsfehler angemessen ist.
  • Satz 2 gibt dem Gericht die Möglichkeit, das Strafmaß auf Antrag der Staatsanwaltschaft angemessen herabzusetzen.

Beide Vorschriften wurden erst im Jahr 2004 in die StPO eingeführt. Sie stellen eine gewisse Systemwidrigkeit dar, da das Revisionsgericht dadurch, dass es selbst über die „Angemessenheit“ der Strafe entscheiden kann und somit die Strafzumessung übernimmt. Diese Möglichkeiten sollen in erster Linie zur Verfahrensbeschleunigung beitragen, um eine Rückverweisung zu vermeiden. Hierfür bedarf es allerdings eines umfassenden und aktuellen Strafzumessungssachverhalts, der häufig schon deshalb nicht gegeben ist, weil das Revisionsgericht den Angeklagten nicht vor sich sieht und auch keine persönlichen Verhältnisse ermittelt.

OLG Hamm, Urteil vom 21.10.2014, 1 RVs 82/14

Auch bei geringem Schaden kann ein Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung führen. Das Urteil ist nicht spektakulär, es bestätigt vielmehr die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung und auch die tägliche Spruchpraxis der Amtsgerichte.

Der Diebstahl einer geringwertigen Sache (hier: eine Flasche Wodka im Wert von 4,99 Euro) bedeutet bei einem Ersttäter, dass – je nach Staatsanwaltschaft – das Verfahren (ggf. gegen Auflagen) eingestellt wird oder ein Strafbefehl im unteren Bereich (ca. 10 Tagessätze, also ein Drittel eines Monatsgehalts) ergeht. In beiden Fällen gilt man als nicht vorbestraft, ins Gefängnis kommt man erst recht nicht.

Ganz anders ist es dagegen, wenn man vorbestraft ist, insbesondere mehrfach, insbesondere einschlägig. Während man vielleicht auch bei der zweiten oder dritten Tat noch mit einer mäßigen Geldstrafe rechnen kann, wird es danach relativ schnell auf eine Bewährungsstrafe und schließlich auf eine unbedingte Freiheitsstrafe hinauslaufen.

Denn schließlich steht (zumindest theoretisch) auch bei jedem noch so geringen Diebstahl der volle Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe zur Verfügung. Die konkrete Strafzumessung berücksichtigt dann zwar immer noch den minimalen Schaden, allerdings wird man bei der Wahl zwischen Geld- und Freiheitsstrafe leicht zu einer Freiheitsstrafe kommen.

Zwar soll eine kurze Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB nicht verhängt werden, da bei Bagatellkriminalität die Geldstrafe den Vorrang genießt. Dies gilt aber dann nicht, wenn „besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen.“ Und dies ist eben unerlässlich, wenn jemand permanent beim Stehlen erwischt wird.

Als nächstes ist bei einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu beachten, dass diese zur Bewährung ausgesetzt wird, „wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird“ (§ 56 Abs. 1 StGB). Dass der Täter durch eine Bewährungsstrafe nicht ausreichend gewarnt wird, zeigt er wieder dadurch, dass er Wiederholungstäter ist.

BGH, Urteil vom 06.02.2014, IX ZR 217/12

Der Anwalt haftet dem Mandanten für Fehler bei der Ausübung seines Mandats. Die Forderung des Mandanten unterliegt aber, wie jeder zivilrechtliche Anspruch, der Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß §§ 195, 199 BGB drei Jahre zum Jahresende. Entscheidend ist jedoch der Beginn dieser Frist: Diese läuft an, sobald der Anspruchsinhaber Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen hat.

Wann ist dies nun der Fall bei der Anwaltshaftung?

Das Oberlandesgericht Thüringen war der Ansicht, dies sei schon bei der Beratung selbst der Fall. Das würde bedeuten, dass der Mandant innerhalb der folgenden drei Kalenderjahre feststellen muss, dass der Rat falsch war.

Anders sah es nun der BGH: Danach beginnt die Frist erst, wenn der Mandant Kenntnisse hat,

aus denen sich für ihn – zumal wenn er juristischer Laie ist – ergibt, dass der Rechtsberater von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen oder er Maßnahmen nicht eingeleitet hat, die aus rechtlicher Sicht zur Vermeidung eines Schadens erforderlich waren.

OLG Nürnberg, Urteil vom 23.07.2012, 4 U 2315/11

Bis 2010 bestand ein staatliches Monopol auf solche Wetten, das später aber aus europarechtlichen Gründen für von Anfang an unzulässig gehalten wurde. Der Kläger betrieb jedoch ein privates Wettbüro, das gegen dieses Monopol verstieß. Als dies den Behörden bekannt wurde, wurde zum einen eine sofort vollziehbare verwaltungsrechtliche Untersagungsverfügung erlassen, zum anderen ein Strafverfahren nach § 284 StGB eingeleitet. Im Rahmen des Strafverfahrens wurden umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt, darunter auch die Beschlagnahme von Betriebssausstattung (u.a. der Computeranlage) der Gesellschaft, sodass diese ihre Geschäfte nicht weiterführen konnte.

Daher klagte er eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) ein. Seine Klage wurde jedoch aus zweierlei Gesichtspunkten abgewiesen:

1. Zum einen ergab sich die Geschäftsaufgabe nicht nur aus den Ermittlungsmaßnahmen, sondern auch aus der behördlichen Unterlassungsverfügung. Auch, wenn die Gesellschaft ihre Computer noch hätte benutzen können, hätte sie dies nicht gedurft. Die Verfügung war zwar selbst rechtswidrig, aber sofort vollziehbar, sodass der Betrieb sofort eingestellt werden musste. Insofern waren also die Ermittlungen nicht kausal wäre den entgangenen Gewinn.

2. Zum anderen war es nicht der Kläger selbst, sondern die Gesellschaft, deren Geschäftstätigkeit betroffen war.

a) Die Gesellschaft war aber nicht Beschuldigte im Verfahren und das StrEG deckt grundsätzlich nur Schäden von Beschuldigten ab, nicht aber die von Dritten.

b) Der Kläger selbst war zwar Beschuldigter, er erlitt aber nur indirekt einen Verlust, weil die von ihm betriebene Gesellschaft nicht mehr weiterarbeiten konnte und dadurch sein Gewinnanteil geringer wurde.

c) Solche Fälle, in denen Anspruchsinhaber und ersetzbarer Schaden auseinanderfallen, werden normalerweise über die Drittschadensliquidation abgewickelt. Der Anspruchsinhaber kann dann den Schaden eines Dritten liquidieren als wäre es sein eigener. Dieses Rechtsinstitut soll hier aber nicht anwendbar sein, da das StrEG gerade nur unmittelbare Schaden erfasst und dies durch die DSL nicht unterlaufen werden soll.

Das Urteil ist äußerst restriktiv – so wie die gesamte Rechtsprechung, wenn es um Ansprüche des Bürgers gegen den Staat geht. Dass man die DSL hier für unanwendbar erklärt, weil beim Auseinanderfallen von Geschädigtem und Anspruchsinhaber kein Ersatzanspruch bestehen soll, erscheint schwer vertretbar. Denn solche Konstellationen stellen sich für den Schädiger – hier den Staat – gerade als „Geschenk des Himmels“ dar, das einer Korrektur bedarf. Diese Notwendigkeit ausgerechnet dann zu verneinen, wenn der Staat der Anspruchsgegner ist, erschließt sich nicht. Denn die Ersatzansprüche aus dem StrEG sind ja keine gnädige staatliche Gewährung, sondern eine Frage der Gerechtigkeit: Wer unschuldig zum Ziel der staatlichen Strafverfolgungsmaschinerie wurde, soll dafür zumindest soweit möglich entschädigt werden. Dies ist als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips auch verfassungsmäßig abgesichert.

BGH, Beschluss vom 26.02.2015, III ZB 55/14

In diesem Verfahren ging es um eine rein prozessuale Frage: Ein Rechtsanwalt hatte eine Frist versäumt – das ist grundsätzlich das Pech des Mandanten, da ihm die Fehler seines Prozessvertreters zugerechnet werden (§ 85 Abs. 2 ZPO). Dies gilt nur dann nicht, wenn es sich um einen Fehler von Angestellten des Anwalts handelte, denn für diese haftet der Mandant nicht. Ist der Grund für den Fehler des Angestellten aber wiederum ein Fehler des Anwalts, z.B. mangelnde Kanzleiorganisation oder eine unsorgfältige Auswahl des Personals, ist dieses wiederum dem Mandanten zuzurechnen. Daher erklären Anwälte immer wortreich, dass sie an dem Fristversäumnis keinerlei Schuld trifft, sondern eine sorgfältig ausgewählte, überwachte und stets zuverlässige Fachkraft den Fehler gemacht hat.

Hier lag das Problem darin, dass der Anwalt angab, zwei seiner Angestellten (sowohl seine persönliche Sekretärin also auch eine zentrale Sekretärin der Kanzlei) seien für die Fristenkontrolle zuständig, grundsätzlich dürfe aber nur die persönliche Sekretärin Fristen streichen. Dieses „grundsätzlich“ wurde ihm nun zum Verhängnis. Denn „grundsätzlich“ lässt auch Ausnahmen zu und er hätte darlegen müssen, wann auch andere Personen dies tun dürften.

Auch eine allgemeine Anweisung, den Fristenstand am Ende des Arbeitstages zu überprüfen und ggf. noch schnell fristwahrende Maßnahmen zu ergreifen, fehlte.

Daher auch das ziemlich deutliche Urteil des BGH:

Nach alldem stellt sich die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht, wie der Kläger meint, lediglich als Folge eines unvorhersehbaren singulären „Blackouts“ der persönlichen Sekretärin seines Rechtsanwalts dar, sondern vielmehr auch als Folge einer ungenügenden Kanzleiorganisation, die es verabsäumt hat, die erforderliche Fristenkontrolle im Zusammenhang mit der Löschung von Fristen sicherzustellen.

Verwaltungsgericht Trier, Beschluss vom 06.06.2014, 6 L 884/14.TR

Ein Abiturient aus Rheinland-Pfalz hatte eine freiwillige Arbeit nicht erbracht. Somit bestand sein Abitur nur aus 43 Einzelleistungen; trotzdem wurde zur Ermittlung seines Abiturschnitts die Gesamtpunktzahl durch 44 geteilt. Das bedeutet praktisch, dass die „freiwillige“ Arbeit mit null Punkten oder der Note 6 bewertet und bei der Berechnung des Abiturschnitts voll herangezogen wurde – von Freiwilligkeit ist also keine Spur mehr.

Hiergegen wollte er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorgehen und das Land verpflichten lassen, seine Abiturnote von bisher 1,6 auf (rechnerisch korrekt, wenn nur 43 Leistungen einbezogen würden) 1,5 zu verbessern.

Das VG Trier hat dies (zunächst) abgelehnt, da die Notwendigkeit einstweiligen Rechtsschutzes nicht dargelegt sei. Es sei nicht ersichtlich, dass dieses Zehntel in der Abiturnote seine Chancen auf Zulassung zum Studium (hier: Humanmedizin) entscheidend verschlechtere. Er kann sich also zunächst auf einen Studienplatz bewerben und gleichzeitig das verwaltungsgerichtliche Verfahren weiter betreiben, um in diesem seine Zeugnisnote zu verbessern.

Anders wäre das Urteil möglicherweise ausgegangen, wenn er konkret hätte nachweisen können, dass er einen Studienplatz mit der Note 1,5 bekommen würde, mit 1,6 dagegen nicht. Dann wäre sein Anspruch auf eine schnelle Entscheidung der Sache offensichtlich gewesen.

BGH, Beschluss vom 15.01.2015, 2 StR 204/14

Die bloße Flucht vor der Polizei stellt keinen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) und auch sonst keine strafbare Handlung dar, hat der Bundesgerichtshof neuerlich entschieden.

§ 113 StGB stellt es unter Strafe, wenn man einen Polizisten oder anderen Vollstreckungsbeamten „mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn dabei tätlich angreift“. Aus dieser Formulierung ergibt sich bereits, dass die Handlung in irgendeiner Form gegen die Person selbst gerichtet sein und körperlich spürbar sein muss.

Wer flieht, widersetzt sich zwar der Verhaftung oder anderen Maßnahme, leistet aber keinen gewaltsamen Widerstand. Dies gilt auch dann, wenn andere Personen bei der Flucht gefährdet oder verletzt werden, sofern hierdurch nicht gerade auf den Vollstreckungsbeamten eingewirkt werden soll.

Allerdings ist es selbstverständlich möglich, bei der Flucht andere Straftaten zu begehen, z.B. eine Sachbeschädigung, ein Straßenverkehrsdelikt oder eine fahrlässige oder vorsätzliche Körperverletzung.

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