OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.03.2016, 1 (3) Ss 163/15

Ein Mann hatte sich in einen Video-Chatroom eingeloggt, in dem man einen Live-Stream von der eigenen Webcam an die anderen Benutzer übertragen konnte. Er richtete die Webcam auf seine nackten Genitalien und nahm sexuelle Handlungen an sich vor.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe musste in (vorerst) letzter Instanz darüber befinden, ob er sich dadurch strafbar gemacht hat. Dabei war grundsätzlich an verschiedene Strafnormen zu denken:

  • § 183 StGB stellt exhibitionistische Handlungen unter Strafe, durch die ein Mann eine andere Person belästigt. Dieser Paragraph schied jedoch schon allein deshalb aus, weil er die gleichzeitige räumliche Anwesenheit von Täter und Opfer voraussetzt. Exhibitionismus über Fernkommunikationsmittel wie das Internet ist nicht erfasst.
  • § 184d verbietet das „Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien“. Allerdings kann die Person, die diese Inhalte zugänglich macht, stets nur der Betreiber des Medienangebots sein, also der Inhaber oder verantwortliche Programmgestalter. Wer ein fremdes Medium verwendet wie hier der Benutzer den Chat, ist von der Strafnorm nicht erfasst. Denn dieser kann nicht „auf die Dauer und die Modalitäten der Internet-Ausstrahlung Einfluss zu nehmen“, hatte also keine Tatherrschaft.
  • Eine Beihilfe zu § 184d StGB scheidet aus, weil die verantwortlichen Betreiber des Chats keinen Vorsatz bzgl. der Verbreitung des Videos hatten. Eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat ist aber notwendig, damit man sich überhaupt der Beihilfe schuldig machen kann. Hier haben der Betreiber bzw. die von ihm beauftragten Moderatoren den Benutzer sofort gesperrt und damit die Übertragung unterbrochen.
  • Wenn der Täter der Meinung war, der Chatbetreiber würde ihn gewähren lassen, wäre noch an eine vesuchte Beihilfe zu denken. Diese ist aber gemäß § 30 Abs. 1 StGB ausschließlich bei Verbrechen strafbar, § 184d StGB ist aber nur ein Vergehen./

Die einzige möglicherweise greifende Vorschrift ist nach Ansicht des OLG daher § 183a StGB („Erregung öffentlichen Ärgernisses“):

Wer öffentlich sexuelle Handlungen vornimmt und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 183 mit Strafe bedroht ist.

Davon sind auch sexuelle Handlungen an sich selbst erfasst und eine gleichzeitige Anwesenheit ist nicht notwendig. Das Merkmal der „Öffentlichkeit“ ist auch dann erfüllt, wenn diese nur durch das Internet hergestellt wird. Denn jede beliebige Person konnte sich in diesen Chatroom einloggen, er stand also einem unbegrenzten Publikum offen.

Insoweit hatte der Angeklagte nach den Feststellungen der Instanzgericht auch Vorsatz. Darüber hinaus ist aber auch noch nötig, dass er ein „Ärgernis“ erregen will oder weiß, dass es zu einem Ärgernis kommt. Dieses Ärgernis bedeutet, dass eine andere Person daran Anstoß nehmen wird, dass sie mit den sexuellen Handlungen konfrontiert wird. Dass sich tatsächlich jemand darüber ärgert, ist aber nicht notwendig. Es reicht die bloße Absicht des Täters, auch wenn die Personen, die er ärgern wollte, den Anblick ganz locker nehmen.

Diese subjektive Tatseite hatten die Vorgerichte nicht ausreichend beleuchtet, daher verwies das OLG die Sache an die kleine Strafkammer beim Landgericht zurück.

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