LG Köln, Urteil vom 13.01.2016, 13 S 129/15

Wird ein Minderjähriger vor einer polizeilichen Vernehmung nicht darüber belehrt, dass er gemäß § 67 des Jugendgerichtsgesetzes zunächst seine Eltern konsultieren darf, kann seine Aussage auch im Zivilprozess nicht verwendet werden.

Ein 15-Jähriger hatte eine Ampel überquert und war von einem Auto angefahren worden. Die herbeigerufene Polizei befragt die Beteiligten, woraufhin der Jugendliche angab, die Ampel sei für ihn rot gewesen. Der Autofahrer klagte gegen den Jugendlichen auf Schadenersatz und stützte sich auf diese Aussage.

Das Gericht durfte die Aussage aber nicht verwerten, da der Jugendliche nicht über sein Konsultationsrecht belehrt worden war. Während ein Verstoß gegen strafrechtliche Belehrungspflichten normalerweise nicht zu einem Verwertungsverbot im Zivilprozess führt, wurde dies hier anders gesehen: Da Jugendliche vom Gesetz für aussagefreudiger gehalten werden, sollen sie nicht von sich aus auf Schweigerechte verzichten, sondern die Möglichkeit haben, sich erst mit ihren Eltern zu beraten.

ECHR, Beschluss vom 15.11.2001, 48188/99

clause-192562_1920Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert bestimmte Grundrechte, die die Grundrechte des Grundgesetzes ergänzen. Da die EMRK nicht Teil des Völkergewohnheitsrechts ist, steht sie nicht gemäß Art. 25 GG über den Bundesgesetzen, sondern ist mit diesen gleichrangig. Die Bundesgesetze sind aber im Lichte der EMRK-Grundrechte auszulegen, insoweit ergibt sich also kein Rangverhältnis, sondern vielmehr eine Beeinflussung der deutschen Gesetze durch die EMRK.

EMRK: Recht, sich selbst vor Gericht zu verteidigen

Von besonderer Bedeutung ist dabei Art. 6 EMRK, der das Recht auf ein faires Verfahren deutlich detaillierter regelt als das Grundgesetz. Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK besagt:

Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte:
sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen

„ECHR, Beschluss vom 15.11.2001, 48188/99“ weiterlesen

OLG Nürnberg, Beschluss vom 21.10.2014, 1 Ws 401/14 H

Eine Überlastung des zuständigen Richters ist kein wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO, der es zulässt, dass die Untersuchungshaft mehr als sechs Monate dauert. Vielmehr muss das Gericht durch organisatorische Maßnahmen dafür sorgen, dass die einzelnen Richter und Kammern insbesondere eilige Haftsachen zeitnah erledigen können.

Die Übertragung anhängiger Verfahren an eine Hilfsstrafkammer ist daher nicht zu beanstanden. Dieser ist eine gewisse Einarbeitungszeit zuzubilligen, während der der Haftbefehl nicht automatisch aufgehoben werden muss.

Zeichnet sich ab, dass der Verteidiger des Angeklagten mehrere Verhandlungstermine nicht wahrnehmen können wird, ist es sachgerecht, ihm einen (weiteren) Pflichtverteidiger zu bestellen.

VG Neustadt/Weinstraße, Beschluss vom 07.07.2015, 5 L 473 / 15.NW (Benennung von Leistungsbescheiden im Vollstreckungsverfahren)

Im Vollstreckungsverfahren müssen die Leistungsbescheide, die zu vollstrecken sind, einzeln benannt werden. Eine bloße Aufführung der Forderungen oder des Forderungsgrundes und -zeitraums ist nicht ausreichend.

Für eine Verwaltungsvollstreckung gelten genaue Anforderungen.
Für eine Verwaltungsvollstreckung gelten genaue Anforderungen.
Das Verwaltungsgericht Neustadt/Weinstraße hat eine Zwangsvollstreckung von Rundfunkbeiträgen wegen eines Formfehlers der Vollstreckungsbehörde (hier der Gemeinde) aufgehoben. Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Fehler auch von anderen Gemeinden in gleicher oder ähnlicher Weise begangen wird, daher sollte man entsprechende Bescheide genau prüfen.

Grundsätzlich ist es so, dass der Rundfunkbeitrag per Gesetz entsteht, also quasi von selbst, sobald die Voraussetzungen der Beitragspflicht erfüllt sind. Es braucht weder eine Anmeldung noch einen Festsetzungsbescheid. Mit einem Festsetzungsbescheid werden nur rückständige, also bereits entstandene Beiträge sowie Mahngebühren festgesetzt. „VG Neustadt/Weinstraße, Beschluss vom 07.07.2015, 5 L 473 / 15.NW (Benennung von Leistungsbescheiden im Vollstreckungsverfahren)“ weiterlesen

OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.07.2015, 4 U 804/15

Wer eine Sportveranstaltung durchführt, bei der Zuschauer verletzt werden können (hier: durch einen durch die Luft fliegenden Puck bei einem Eishockey-Bundesligaspiel) kann sich nicht darauf verlassen, dass es ausreicht, die einschlägigen DIN-Normen einzuhalten. Vielmehr müssen, je größer die Gefahren sind, auch noch entsprechende zusätzliche Vorkehrungen getroffen werden. Ansonsten kann der Veranstalter wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflicht haften.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.12.2015, 1 Ws 546 / 15

Der Täter einer schweren räuberischen Erpressung war zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Nachdem ein erheblicher Teil davon verbüßt war, beantragte er die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung.

Am 14.10.2015 wurde der Termin für die Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg auf den 16.10.2015, 8:30 Uhr gelegt. Der Verteidiger des Verurteilten erhielt die Ladung zu diesem Termin erst, nachdem dieser bereits stattgefunden hatte und war bei der Verhandlung dementsprechend nicht dabei.

Auf die Beschwerde hin hob das Oberlandesgericht Nürnberg dies auf. Die Mitwirkung eines Verteidigers war bei der Entscheidung über die Strafrestaussetzung nicht notwendig. Daher wäre es grundsätzlich die Aufgabe des Verurteilten selbst gewesen, seinen Anwalt zu konktaktieren und ihm den Termin mitzuteilen. Angesichts der äußerst knappen Zeit war ihm dies aber aus dem Gefängnis heraus nicht möglich. Daher hätte das Gericht, um ein faires Verfahren sicher zu stellen, selbst den Verteidiger informieren müssen.

AG Schöneberg, Urteil vom 30.07.2014, 103 C 160/14

1. Bringt der Vermieter Kamera-Attrappen im Hauseingangsbereich an, um Vandalismus-Schäden zu vermeiden, so verletzt dies nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Mieters. Insbesondere entsteht gegenüber dem Mieter kein Überwachungsdruck, da ihm bekannt ist, dass die Kameras nur Attrappen sind.

2. Auch die Befürchtung des Mieters, der Vermieter könnte eines Tages die Attrappen durch echte Kameras auswechseln, begründet noch keinen Eingriff in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht.

3. Damit steht dem Mieter auch kein Unterlassungsanspruch gegen den Vermieter zu. „AG Schöneberg, Urteil vom 30.07.2014, 103 C 160/14“ weiterlesen

AG Hamburg, Urteil vom 10.03.2009, 256 Cs 2207 Js 262 / 09 („in die Fresse“)

argument-238529_1920Nicht an der Juristerei, sondern an der Politik liegt, dass es gerade in aller Munde ist, jemandem „in die Fresse“ zu hauen. Einer anderen Person etwas „in die Fresse“ anzudrohen, ist in der Regel auch rechtlich nicht besonders interessant. Es sei denn, natürlich, diese Person ist ein Beamter.

Und das war auch beim Urteil des Hamburger Amtsgerichts aus dem Jahr 2009 der Fall. Hier war es so, dass ein Besucher im Gefängnis Fuhlsbüttel ausfällig gegenüber den dortigen Justizvollzugsbeamten wurde. Vorausgegangen war ein Streit darüber, ob er als JVA-Besucher Wechselgeld in der Hosentasche haben durfte und wo er her hatte. Konkret sagte er dann: „Ihr kommt ja auch noch einmal aus der Anstalt und bekommt ihr auf die Fresse! Ja, dann bekommt ihr richtig auf die Fresse!“

Verbalinjurien gegenüber Beamten sind zwar auch nicht anders strafbar als gegenüber sonstigen Menschen, insbesondere gibt es keinen eigenen Tatbestand der Beamtenbeleidigung. Aber die Staatsanwaltschaften legen einen deutlich höheren Verfolgungseifer an den Tag, wenn ein Staatsdiener durch böse Worte angegriffen wird. „AG Hamburg, Urteil vom 10.03.2009, 256 Cs 2207 Js 262 / 09 („in die Fresse“)“ weiterlesen