Urteilssammlung: Unterschrift oder Paraphe? (Teil 3)

Formgültige Unterschrift oder bloße Paraphe?
Formgültige Unterschrift oder bloße Paraphe?
In der immer wieder für Erheiterung sorgenden Frage, wie eine formgültige Unterschrift auszusehen hat (siehe hier und hier), gibt es zwei neue OLG-Entscheidungen, die ich im stets erhellenden Blog des Kollegen Dr. Burhoff gefunden habe.

Im Wesentlichen wird die bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach jedes individuelle Schriftzeichen als Unterschrift gilt, den man (auch mit gewisser Phantasie) als Namenszug erkennen kann.

Interessant ist aber, dass beide Gerichte auch auf die Frage abstellen, ob eine bloße Paraphe, die eben keine Unterschrift darstellen soll, aufgrund der äußeren Umstände nahe liegen könnte.

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EuGH, Beschluss vom 21.10.2014, Az. C-348/13

Auf Youtube veröffentlichte Videos können mit einem einfachen HTML-Code, den Youtube auch noch bereitstellt, auf Internetseite eingebunden werden („embedding“). Ein kleines Videofenster („Frame“) wird somit zum Teil der Seite, man muss sich also nicht auf Youtube durchklicken.

Gegen eine solche Verwendung seines Videos auf einer fremden Homepage hat sich der Urheberrechtsinhaber gewandt. Der Bundesgerichtshof legte diese Frage dem Europäischen Gerichtshof vor, um von diesem eine Vorabentscheidung über das anwendbare EU-Recht zu erhalten.

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Urteilssammlung: Die Drei-Tages-Fiktion/-Vermutung

Im gesamten Verwaltungsrecht spielt die Drei-Tages-Fiktion bzw. Drei-Tages-Vermutung für den Zugang von Briefen eine erhebliche Rolle. Diese besagt, dass ein von einer Behörde zur Post gegebener Brief regelmäßig nach drei Tagen seinen Empfänger erreicht hat.

Es besteht also grundsätzlich eine Vermutung, dass ein nachweislich versandtes Schreiben am dritten Tag nach Versendung angekommen ist. Gleichzeitig verbleibt aber die Beweislast bei der Behörde, wenn es Zweifel daran gibt, dass ein bestimmter Brief tatsächlich an diesem Datum zugegangen ist. Sollte der Brief nachweislich früher angekommen sein, wird trotzdem so getan als sei er erst nach drei Tagen angekommen, insoweit besteht also eine echte Fiktion.

Eine derartige Regelung findet sich sowohl im allgemeinen Verwaltungsrecht des Bundes (§ 41 Abs. 2 VwVfG, § 4 Abs. 2 VwZG) als auch im Sozialrecht (§ 37 Abs. 2 SGB X) und im Steuerrecht (§ 122 Abs. 2 AO) sowie in den meisten entsprechenden Landesgesetzen.

Diese Urteilssammlung soll verschiedene Gerichtsentscheidungen darstellen, die sich mit der Anwendung dieser Regel beschäftigt haben.

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BGH, Beschluss vom 22.10.2019, 4 StR 37/19

Ein Strafurteil besteht aus mehreren Teilen. Die wichtigsten, was die Feststellung der Schuldfrage angeht, sind der Tatbestand und die Beweiswürdigung:

  • Im Tatbestand schreibt das Gericht nieder, was seiner Ansicht nach im zugrunde liegenden Fall passiert ist.
  • In der Beweiswürdigung erklärt das Gericht, wie es zu dieser Ansicht gelangt ist, also was der Angeklagte gesagt hat, welchen Zeugen es geglaubt hat, welche Beweise vorgelegt wurden usw.

Daraus kann das Rechtsmittelgericht dann ableiten, ob das Gericht mit der erforderlichen Sorgfalt vorgegangen ist, ob die Beweiswürdigung schlüssig war und ob auch die rechtlichen Vorschriften korrekt auf den festgestellten Sachverhalt angewandt wurden.

Das Landgericht Kaiserslautern wollte das alles in einem umfangreichen Betrugsfall rund um Solarmodule besonders gut machen. Drei Jahre lang wurde an insgesamt 104 Sitzungstagen über einen einzelnen Betrug mit einem Schaden von immerhin deutlich über 10 Millionen Euro verhandelt. Am Schluss hielt das Gericht den Angeklagten für schuldig und verurteilte ihn zu fünf Jahren Gefängnis. Dieses Urteil begründete die Strafkammer auf 548 Seiten, davon 262 Seiten Sachverhaltsschilderung.

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BVerfG, Beschluss vom 18.07.2019, 1 BvL 1/18 („Mietpreisbremse“)

Die Mietpreisbremse soll einen übermäßigen Anstieg der Miethöhe verhindern. Ihre Wirksamkeit und ihre Zulässigkeit sind hoch umstritten.
Die Mietpreisbremse soll einen übermäßigen Anstieg der Miethöhe verhindern. Ihre Wirksamkeit und ihre Zulässigkeit sind hoch umstritten.
In dieser Entscheidung wurden zwei unterschiedliche Verfahren, nämlich eine Normenkontrolle durch das Landgericht Berlin und eine Verfassungsbeschwerde, verbunden. Diese formell sehr unterschiedlichen Verfahren hatte eines gemeinsam: Es ging um die Verfassungsmäßigkeit der neuesten Ausführung der Mietpreisbremse.

Diese sieht insbesondere ein Verbot des (erheblichen) Überschreitens der ortsüblichen Vergleichsmiete auch bei Neuvermietungen in Gebieten mit besonders hoher Nachfrage nach Wohnungen vor.

In diesem Verfahren musste sich die Mietpreisbremse an drei verschiedenen Grundrechten messen lassen:

  • Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgrundrecht)
  • Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit in Form der Vertragsfreiheit)
  • Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlungsgrundsatz)

Diese Prüfungen wurden jeweils nur im Rahmen der Verfassungsbeschwerde vorgenommen. Die Normenkontrollvorlage wurde schon aus formalen Gründen abgelehnt, da das Landgericht nicht deutlich genug dargelegt hatte, warum die verfassungsrechtliche Prüfung für sein Urteil relevant sei.

Inhaltlich machte das Bundesverfassungsgericht dann folgende Ausführungen:

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Landgericht Berlin II, Urteil vom 01.12.1906, II 2 f L.3.Nr.58.06.156 (Hauptmann von Köpenick)

captain-of-copenick-2114405_1920Der Hauptmann von Köpenick ist wohl jedem ein Begriff. Ein kleiner Krimineller, der doch nur resozialisiert werden will, spielt in seiner Not einen verdienten preußischen Soldaten und hält dadurch seiner Zeit den Spiegel vor. Die Geschehnisse sind echt, jedoch ist durch die literarische und filmische Bearbeitung ein Bild entstanden, das sicher nicht hundertprozentig die Realität abbildet.

Heute wollen wir uns das Originalurteil ansehen. Dieses wurde ungekürzt übernommen, es wurden lediglich einige – der im Vergleich zu einem heutigen Urteil wenigen – Tippfehler korrigiert und gelegentlich Absätze eingefügt, die die Lesbarkeit erhöhen sollen.

Urteil des Königlichen Landgerichts II in

Berlin vom 1.12.1906

II 2 f L.3.Nr.58.06.156

Dieses Aktenzeichen erschließt sich nur noch besonders Eingeweihten. Die führende römische Ziffer II könnte Landgericht II und die spätere Zahl 3 die dritte Strafkammer meinen. Heute ist die Nummerierung anders, man würde bspw. „Landgericht II, Az. 3 KLs 123 Js 456789/06“ schreiben.

IM NAMEN DES KÖNIGS!

Im Namen des (preußischen) Königs, natürlich. Im Namen des Volkes ergingen die Urteile erst in Weimarer Zeiten.

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BFH, Beschluss vom 07.02.2013, VIII R 2/09

Wird ein Schreiben mittels Postzustellungurkunde zugestellt, übergibt der Postbote den Brief persönlich an den Empfänger oder wirft ihn, wenn niemand zu Hause ist, in den Briefkasten. Als Nachweis des Zugangs wird eine Postzustellungsurkunde ausgefüllt und an den Absender übergeben. Auf dem Umschlag wird das Datum des Zugangs vermerkt, damit der Empfänger auch weiß, wann er die Sendung erhalten hat (§ 180 Satz 3 ZPO).

Im vorliegenden Fall war es so, dass der Briefträger diese Angabe des Datums auf dem Umschlag vergessen hat. Der am 24.12. (Heiligabend!) vormittags eingeworfene Brief wurde vom Empfänger, einer Anwaltskanzlei, erst am 29.12. entgegen genommen. Nun stellt sich die Frage, ob der Zugang am 24. oder am 29.12. erfolgt ist.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Nichteintragung des Datums die Verletzung einer zwingenden Zustellvorschrift bedeutet. Aus diesem Grunde ist die Zustellung nicht formgerecht erfolgt. Das bedeutet aber noch nicht, dass die Zustellung ungültig wäre.

Vielmehr ist es gemäß § 189 ZPO dann so, dass der tatsächliche Zugang zählt. Der tatsächliche Zugang ist dann gegeben, wenn das Schreiben in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, wenn dieser also unter normalen Umständen vom Inhalt Kenntnis nehmen konnte.

Der Bundesfinanzhof ging nun davon aus, dass eine Kanzlei unter normalen Umständen an Heiligabend jedenfalls bis Mittag geöffnet ist. Damit war der Zugang in diesem Fall noch am 24.12. erfolgt – im Ergebnis war der Formverstoß also bedeutungslos.

BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2006, 2 BvR 2194/99

tax-office-233345_1920Der Halbteilungsgrundsatz besagt, dass der Staat grundsätzlich nicht mehr als die Hälfte der Einkünfte seiner Bürger als Steuer abschöpfen darf. Er wurde vom Bundesverfassungsgericht zur damaligen Vermögensteuer entwickelt, um die Grenzen staatlicher Belastung zu definieren. In der nunmehrigen Entscheidung ging es um die Frage, ob der Halbteilungsgrundsatz auch dann gilt, wenn es nur um Einkommen- und Gewerbesteuer geht.

Zunächst stellt das Bundesverfassungsgericht sehr klar fest, dass jede Besteuerung einen Eingriff in Grundrechte darstellt:

Ist es der Sinn der Eigentumsgarantie, das private Innehaben und Nutzen vermögenswerter Rechtspositionen zu schützen, greift auch ein Steuergesetz als rechtfertigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie ein, wenn der Steuerzugriff tatbestandlich an das Innehaben von vermögenswerten Rechtspositionen anknüpft und so den privaten Nutzen der erworbenen Rechtspositionen zugunsten der Allgemeinheit einschränkt.

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BVerfG, Beschluss vom 10.06.1964, 1 BvR 37/63

In dieser Entscheidung ging es um die Frage, inwieweit das Bundesverfassungsgericht das angefochtene Urteil nachprüfen kann. Herausgekommen ist die sog. Heck’sche Formel, nach der das BVerfG nur spezifische Grundrechtsverletzungen prüft:

Allgemein wird sich sagen lassen, daß die normalen Subsumtionsvorgänge innerhalb des einfachen Rechts so lange der Nachprüfung des Bundesverfassungsgerichts entzogen sind, als nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind.

BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1964, 1 BvR 37/63

diary-614149_1920Der Verfassungsbeschwerdeführer hat zunächst fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben, weil er sein Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) in einer patentrechtlichen Angelegenheit verletzt sah. Lange nach Ablauf der einmonatigen Verfassungsbeschwerdefrist hat er dann noch eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) moniert.

Das Bundesverfassungsgericht hielt dies für unzulässig, da die Frist abgelaufen sei. Zwar könne der Verfassungsbeschwerdeführer eine fristgerecht eingereichte Verfassungsbeschwerde noch um Tatsachen und Rechtsansichten ergänzen. Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass ein neuer Sachverhalt zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden. Das sei aber hier der Fall, da eine Gehörsverletzung nun einmal etwas anderes sei als eine Eigentumsverletzung.

Aus dieser – doch schon älteren – Entscheidung lässt sich aber auch heute noch ablesen, wie wichtig eine gewissenhafte Prüfung und Einlegung der Verfassungsbeschwerde ist. Es ist unerlässlich, alle angefochtenen Handlungen genau zu bezeichnen und alle davon berührten Grundrechte zu nennen. Dies sollte bereits bei der ersten Verfassungsbeschwerdeschrift geschehen, damit die Argumentation „aus einem Guss“ geschieht. Gewähr hierfür bietet vor allem ein auf Verfassungsbeschwerden spezialisierter Rechtsanwalt.