BGH, Urteil vom 18.11.2015, VIII ZR 266/14

Bei Mieterhöhungen kommt es immer nur auf die tatsächliche Größe der Wohnung an, nicht auf die im Vertrag vereinbarte Größe. Auch, wenn die Wohnung laut Mietvertrag kleiner ist als in Wirklichkeit, kann sich der Vermieter auf die tatsächliche Wohnungsgröße berufen. Denn die Mieterhöhung soll ihm ermöglichen, die Wohnung zu einem marktangemessenen Preis zu nutzen; eine zu gering vereinbarte Wohnungsgröße soll keine Fiktion herbeiführen, die Wohnung sei dauerhaft weniger wert.

Es ist allgemein bekannt, dass der Vermieter am besten keine Angaben zur Wohnungsgröße im Mietvertrag macht, um keine Mietminderung zu provozieren. Allerdings kommt er um ein Vermessen der Wohnung nicht herum, wenn er irgendwann einmal die Miete erhöhen will. Denn ohne Größenangabe ist eine Mieterhöhung praktisch nicht denkbar. Der Mietspiegel (§ 558a Abs. 1 Nr. 1) und die Mietdatenbank (Nr. 2) bauen auf der Quadratmeterzahl auf und Vergleichswohnungen (Nr. 4) können nur herangezogen werden, wenn das Hauptvergleichskriterium Wohnungsgröße feststellbar ist. Lediglich das Sachverständigengutachten (Nr. 3) kommt zunächst ohne Größenangabe aus, weil der Gutachter die Größe natürlich bei dieser Gelegenheit feststellt. Da dieses Gutachten aber nicht billig ist, wird es sehr selten herangezogen.

Spätestens bei der Mieterhöhung muss man also Farbe bekennen – und sollte zudem berücksichtigen, dass die Feststellung der Wohnungsgröße oft nicht so einfach ist, weil Messfehler nie ganz auszuschließen sind und zudem für verschiedene Nebenfächen (z.B. Balkone und Dachgärten, § 4 Nr. 4 der Wohnflächenverordnung) kein fester Berechnungsmaßstab besteht.

OLG Nürnberg, Urteil vom 26.07.2010, 14 U 220/10

Für Anwälte ist es von entscheidender Bedeutung, ob sie lediglich beraten oder ein Geschäft betreiben. Für ersteres sieht § 34 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG) maximal 190 bzw. 250 Euro vor. Kommt es dagegen zum „Betreiben des Geschäfts“, so kann die Geschäftsgebühr Nr. 2300 des Vergütungsverzeichnisses (RVG-VV) verlangt werden. Diese beträgt das 0,5- bis 2,5-Fache der Standardgebühr, regelmäßig das 1,3-Fache; bei 10.000 Euro Gegenstandswert sind das bspw. 725 Euro, bei 50.000 Euro schon 1500 Euro.

Nun ist es aber so, dass praktisch jedes Mandat zunächst mit einer Beratung beginnt. Es stellt sich also die Frage, wann die Schwelle von dieser Beratung zur Geschäftsbetreibung überschritten ist. Unumstritten ist Folgendes:

  • Geht die Tätigkeit des Anwalts über Beratung und Begutachtung nicht hinaus, ist § 34 vorrangig, die Geschäftsgebühr entsteht nicht.
  • Vertritt der Anwalt den Mandanten nach außen, betreibt er immer ein Geschäft.

Die herrschende Meinung geht zudem davon aus, dass es bereits reicht, wenn die Vertretung nach außen vom Auftrag erfasst ist. Nicht entscheidend ist dann, ob es zur Vertretung auch wirklich kommt oder sich die Sache anderweitig erledigt.

Das Nürnberger Oberlandesgericht hatte sich nun mit einem Fall zu beschäftigen, bei dem der Anwalt Schriftstücke gefertigt hat, mit denen der Mandant selbst nach außen auftreten sollte. Dabei handelte es sich um ein Zahlungsaufforderungs- und um ein Mahnschreiben, das er dem Mandanten überließ, damit dieser sie dann selbst verwendete und im eigenen Namen versandte.

Das reicht nach Ansicht des OLG für ein Betreiben noch nicht aus:

Die Geschäftsgebühr nach RVG-VV Nr. 2300 entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags (Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 zum RVG-VV). Sie entsteht nicht, soweit sich die Tätigkeit des Anwalts auf die Erteilung eines Rats oder einer Auskunft beschränkt. § 34 genießt insoweit gegenüber RVG-VV Nr. 2300 Vorrang. Letzteres ist der Fall, wenn der Rechtsanwalt auftragsgemäß nur im Innenverhältnis zum Mandanten beratend tätig wird, also kein anderes Geschäft, vor allem keine Vertretung des Mandanten mit der Beratung verbunden ist.

In der Formulierung „für das Betreiben des Geschäfts“ kommt demgegenüber zum Ausdruck, dass es sich um die Gebühr handelt, nach der grundsätzlich die außergerichtliche Vertretung abzurechnen ist; man spricht insoweit auch generell von der „Betriebsgebühr“. Es kommt somit darauf an, ob der Rechtsanwalt auftragsgemäß auch nach außen wirken soll.

Ein solches Wirken nach Außen oder gar eine Vertretung liegt nicht vor, wenn der Rechtsanwalt auftragsgemäß lediglich ein vom Auftraggeber selbst zu unterzeichnendes Schreiben oder eine sonstige einseitige Erklärung entwirft. RVG VV Nr. 2300 fordert nach einhelliger Meinung ein Mehr gegenüber der Ratserteilung. Ein solches Mehr liegt nicht bereits dann vor, wenn der Rechtsanwalt – wie hier – ein Schreiben des Mandanten „vorformuliert“. Dies stellt lediglich einen Rat an den Mandanten dar, ein Schreiben zu verfassen und welchen Inhalt dieses haben soll. Eine solche Anwaltstätigkeit ist nicht – wie typischerweise bei einer Vertretung – nach außen gerichtet.

Die Formulierung eines Schreibens wird also nur als Rat gesehen, dieses Schreiben zu verschicken. Von wem das Schreiben entworfen worden ist, erfährt tritt aber nicht nach außen, vielmehr kann der Adressat den Brief nur als vom Mandanten selbst stammend auffassen. Notwendig für die Annahme einer Geschäftsbetreibung ist also jedenfalls eine für Dritte erkennbare Tätigkeit des Anwalts im Namen seines Mandanten.

KG, Urteil vom 15.03.2013, 5 U 41/12

Das Kammergericht, das in Berlin dem Oberlandesgericht entspricht, hat entschieden, dass der Name einer Gebietskörperschaft (Gemeinde, Landkreis, Bezirk, Bundesland) den allgemeinen Namensschutz des § 12 BGB genießt. Niemand außer der Gebietskörperschaft selbst darf diesen benutzen.

Dies gilt auch bei der Verwendung von Domain-Namen. Auch die Verwendung einer anderen Domainendung (Top-Level-Domain) als das übliche .de (hier: .com) ändert daran nichts. Die Domain steht ausschließlich der Gebietskörperschaft selbst zu, da man deren Inhalte und der Domain erwartet:

Aus der Verwendung der Top-Level-Domain „.com“ entnimmt der Internetnutzer nicht, dass es sich um das Informations- und Dienstleistungsangebot eines Dritten und nicht des Namensträgers handelt.

OLG SH, Beschluss vom 16.07.2015, 3 Wx 19/15

Ein Testament muss – wenn kein öffentliches, notarielles Testament vorliegt (§ 2232 BGB) – bekanntlich handschriftlich verfasst sein (§ 2247 Abs. 1 BGB). Nicht nur die Unterschrift muss handschriftlich sein, sondern auch der gesamte Inhalt. Dies soll eine erhöhte Sicherheit dafür geben, dass der Erblasser sich der Bedeutung seiner Verfügung bewusst war und sie zudem auch tatsächlich von ihm stammt.

Handschriftliche Erklärungen bergen aber immer die Gefahr der Unlesbarkeit. Was ist nun, wenn man ein Testament schlicht nicht entziffern kann? Diesen Fall hatte nun das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zu entscheiden.

Das Gericht ist der Ansicht, dass die Lesbarkeit Teil der Formvorschrift ist. Denn der geschriebene Text ist Ausgangspunkt der Auslegung. Eine solche kann aber nicht geschehen, wenn man nicht einmal weiß, welche Worte der Erblasser überhaupt gewählt hat. Dabei ist eine schwere Lesbarkeit unschädlich, sofern zumindest durch Hinzuziehen eines Sachverständigen eine sichere Entzifferbarkeit gegeben ist.

Interessant ist auch, dass das Gericht es abgelehnt hat, den Inhalt des Testaments durch die Vernehmung einer Zeugin, die die Erblasserin gekannt hat, feststellen zu lassen. Dies hat das Gericht wie folgt begründet:

Eine Vernehmung der Zeugin Marlies S. dazu, was die Erblasserin hat erklären wollen, verbietet sich. Nur der formwirksam verlautbarte Wille der Erblasserin ist maßgeblich. Deshalb muss der Inhalt des vom Erblasser Erklärten seinem Wortlaut nach vollständig aus der Urkunde zu entnehmen sein. Soweit diese unlesbar ist, können außerhalb der Urkunde liegende Umstände und die Aussagen von Zeugen nicht darüber hinweghelfen

Mit anderen Worten: Dass die Erblasserin möglicherweise ein Testament mit einem bestimmten Inhalt errichten wollte, ist nicht relevant. Es kommt nur darauf an, was sie tatsächlich geschrieben hat.

Die Frage „Wie hat sie das Testament gemeint?“ kann sich also erst stellen, wenn die Frage „Was hat sie geschrieben?“ beantwortet ist.

Welche Schwierigkeiten das Gericht hatte, dies festzustellen, lässt sich aus den Urteilsgründen erahnen:

Der Senat – Spezialsenat für Nachlassangelegenheiten – ist trotz langjähriger Erfahrung mit der Entzifferung schwer lesbarer letztwilliger Verfügungen nicht in der Lage, das Schriftstück soweit zu entziffern, dass es einen eindeutigen Inhalt erhält. Er geht mit dem Nachlassgericht davon aus, dass die ersten drei Worte „ich Ruth H.“ und die letzten Worte „Kathrin G. geb. 13.12.74“, gefolgt von der Unterschrift und der Zahlreihe „06.04.12“ lauten. Diese Worte weisen die Erblasserin als Erklärende aus und lassen einen Bezug der Erklärung zu der Beteiligten zu 2., die namentlich und mit ihrem Geburtsdatum genannt wird, erkennen. Die letzten vier Zahlen könnten auf den 06. April 2012 als Tag der Niederschrift hinweisen.

In der Mitte des Textes verbleiben jedoch einige nicht zweifelsfrei lesbare Worte. Selbst wenn es sich bei den Buchstaben in der linken Hälfte der zweiten Zeile um ein einziges Wort handeln sollte – obgleich zwischen dem zweiten und dritten Buchstaben eine Lücke ist – und dieses Wort als „vermache“ zu lesen wäre, bliebe doch eine Ungewissheit wegen der verbleibenden beiden Worte. Selbst wenn feststünde, dass die Erblasserin – sollte das Schriftstück von ihr stammen – der Beteiligten zu 2. etwas „vermachen“ wollte, bliebe unklar, was genau dies sein sollte. Das Bezugsobjekt des „Vermachten“ ist nicht lesbar. Der Senat kann die fraglichen Worte weder im Sinne von „vermache alles meiner“ – wie es die Beteiligte zu 2. lesen möchte – noch in anderer Weise, die einen eindeutigen Inhalt ergäbe, lesen.

Die Ungewissheit über den Inhalt des Geschriebenen lässt sich nicht unter Zuhilfenahme der Feststellungen, die die vom Nachlassgericht herangezogene Sachverständige Mechthild N. getroffen hat, beseitigen. Die Sachverständige hat zwar das erste der drei umstrittenen Worte als „vermache“ identifiziert. Wie sie in der mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens näher dargelegt hat, hat sie sich hierbei auf einen Vergleich der Linienführung mit der Schreibweise einzelner Buchstaben, die in dem Schriftstück mehrfach vorkommen, gestützt. Sie hat bei der Identifizierung des Wortes aber den Vorbehalt gemacht, dass einzelne darin vorkommende Buchstaben, insbesondere das „a“ und das „c“, schwer gestört seien. Sie sind in der Tat als solche nicht erkennbar und lassen sich allenfalls daraus herleiten, dass die Buchstabenfolge nur auf diese Weise ein sinnvolles Wort ergäbe. Gleichwohl ist die Sachverständige letztlich mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer richtigen Entzifferung dieses Wortes ausgegangen.

Nicht zu entziffern waren auch für sie die beiden anderen Worte. Die letzten beiden Buchstaben des zweiten Wortes in der zweiten Zeile hat die Sachverständige als „es“ erkannt. Hieraus ließe sich, so die Sachverständige sinnvoll das Wort „alles“ bilden. Sie hat sich jedoch nicht festlegen wollen, dass die Buchstaben tatsächlich so zu ergänzen seien. Zum einen, so die Sachverständige, wäre das Wort falsch, nämlich nur mit einem „l“, geschrieben. Zum anderen lasse sich der Anfangsbuchstabe nicht sicher lesen; er könne ein „a“, „n“ oder „w“ darstellen. Der Senat ergänzt, dass eine weitere Unsicherheit dadurch entsteht, dass der mittlere steile Bogen in der Buchstabenfolge nicht höher ist als die restlichen Bögen und Rundungen des Wortes. Dies erhöht die Unsicherheit noch, dass es sich dabei um ein „l“ handeln könnte. Dies gilt zumal bei einem Blick auf die im Text mehrfach vorkommenden vergleichbaren Buchstaben „h“, „t“, „b“, die alle mit mehr oder weniger deutlich ausgeprägtem Oberstrich geschrieben sind.

Auch das erste Wort in der dritten Zeile blieb für die Sachverständige „hochproblematisch“. Sie hat es ausdrücklich nur unter diesem Vorbehalt als das Wort „nach“ interpretiert. In der Tat ist kaum nachvollziehbar, wie die Rundung am rechten Rand des Schriftzugs zu erklären wäre, wenn der letzte Buchstabe ein „h“ wäre. Sie deutet eher auf ein „e“ hin. Dass die Beteiligte zu 2. ihrerseits in dem Schriftzug das Wort als „meiner“ erkennt, zeigt erst recht die Unsicherheit über die zutreffende Lesart.

Internationaler Gerichtshof (IGH), Urteil vom 03.02.2012, No. 143

Der Internationale Gerichtshof hat sich mit der Staatenimmunität der Bundesrepublik beschäftigt.
Der Internationale Gerichtshof hat sich mit der Staatenimmunität der Bundesrepublik beschäftigt.
Welches Gericht hat geurteilt?

Es handelte sich um den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Dieser wurde von den Vereinten Nationen eingesetzt, um Streitigkeiten zwischen Staaten zu verhandeln.

Teilweise wird das Urteil fälschlich dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zugeschrieben.

Hier das Urteil: www.icj-cij.org (Englisch)

Worum ging es bei dem Urteil?

Im Zweiten Weltkrieg wurden Kriegsverbrechen durch die deutsche Wehrmacht begangen, konkret Zivilisten als Vergeltung für Widerstand aus der Bevölkerung erschossen. Dabei ging es im Wesentlichen um zwei Fälle, nämlich in Civitella (Italien) und Distomo (Griechenland). Hierfür haben Angehörige der Getöteten Schadenersatzansprüche vor italienischen bzw. griechischen Gerichten eingeklagt und Recht bekommen. Zur Durchsetzung dieser Ansprüche wurde die Villa Vigoni, deutsches Eigentum am Comer See, beschlagnahmt. Die Bundesrepublik hat deswegen den italienischen Staat verklagt.

Was hat die Bundesrepublik denn mit dem Dritten Reich zu tun?

Die Völkerrechtswissenschaft geht davon aus, dass Bundesrepublik und Drittes Reich rechtlich identisch sind. Der deutsche Staat besteht demnach ununterbrochen seit 1867 mit der Gründung des Norddeutschen Bunds, der 1871 zum Deutschen Reich erweitert wurde. Alle späteren Regierungsformen (Weimarer Republik, NS-Diktatur) sind nur unterschiedliche Ausprägungen dieses Staates. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg ist das Deutsche Reich nicht untergegangen, sondern bestand ohne einheitliche Staatsgewalt zunächst als besetzter Staat, später als BRD und DDR fort. Seit der Wiedervereinigung gibt es nur noch ein Deutschland, das aber völkerrechtlich immer noch mit dem Deutschen Reich identisch ist. Daher muss die Bundesrepublik auch für alle Verpflichtungen des Deutschen Reichs einstehen.

Sollte man der Untergangstheorie folgen, für die wohl die besseren Argumente sprechen, die aber eine Mindermeinung darstellt, ist Deutschland 1945 untergegangen und die Bundesrepublik wurde 1949 als Nachfolgestaat gegründet, der nicht identisch mit dem Deutschen Reich ist, sondern nur dessen Rechtsnachfolger. Im Endeffekt ergäbe sich kein Unterschied, da auch im Wege der Rechtsnachfolge alle Verpflichtungen übergehen.

Was hat das Gericht entschieden?

Das Gericht hat entschieden, dass Italien

  1. durch die Zulassung von zivilrechtlichen Klagen gegen die Bundesrepublik deren Staatenimmunität verletzt hat,
  2. durch die Beschlagnahme der Villa Vigoni die Staatenimmunität der Bundesrepublik verletzt hat,
  3. durch die Vollstreckung der griechischen Urteile die Staatenimmunität der Bundesrepublik verletzt hat,
  4. verpflichtet ist, weitere Verletzungen der Staatenimmunität der Bundesrepublik zu unterlassen.

Was bedeutet Staatenimmunität?

Die Staatenimmunität (auch als völkerrechtliche Immunität bezeichnet) besagt, dass kein Staat Gerichtsbarkeit über einen anderen Staat hat. Damit kann jeder Staat nur vor den eigenen Gerichten verklagt werden. Die Kläger hätten also in Deutschland Klagen anstrengen oder auf andere Weise ihre Ansprüche geltend machen müssen.

Würde man zulassen, dass ein Staat einen anderen zu irgendeiner Leistung verurteilt, würde dies eine Kaskade weiterer Klagen provozieren: Denn als nächstes könnten die Gerichte des verurteilten Staates den Klägern die Vollstreckung aus den Urteilen verbieten. Da sich alle Staaten auf Augenhöhe gegenüberstehen, gäbe es einander widersprechende Urteile, von denen keines den Vorrang für sich beanspruchen dürfte. Staaten können gegeneinander daher nur vor internationalen Gerichten klagen.

War das Urteil überraschend?

Nein, die Staatenimmunität ist allgemein anerkannt. Die einzige nicht völlig geklärte Rechtsfrage war diejenige, ob die Staatenimmunität auch bei schwersten Menschenrechtsverletzungen wie den hier vorliegenden Kriegsverbrechen Anwendung findet. Da bisher keine Durchbrechungen der völkerrechtlichen Immunität anerkannt waren, wurde aber auch nicht erwartet, dass dies in diesem Fall anders entschieden würde.

Wurden die begangenen Kriegsverbrechen bezweifelt?

Nein, zu keinem Zeitpunkt. Die Taten sind umfassend dokumentiert. Es ging lediglich um die Frage, vor welchen Gerichten Entschädigungen deswegen hätten eingeklagt werden müssen.

Bleiben die Opfer damit ohne Entschädigung?

Nicht unbedingt, es gab zum einen das Bundesentschädigungsgesetz, das NS-Opfer zumindest eine gewisse Kompensation zu Teil werden ließ. Dieses Gesetz hatte allerdings einen relativ engen Anwendungsbereich, Geiselerschießungen sind in der Regel nicht erfasst. Zum anderen wurden Entschädigungen zwischen den Staaten geregelt, z.B. durch ein Abkommen zwischen Deutschland und Italien aus dem Jahr 1963, das Leistungen in Höhe von 40 Mio. DM vorsah. Ob, wodurch und inwieweit einzelne Opfer tatsächlich Wiedergutmachung erfahren haben oder noch erfahren können, ist allerdings sehr unterschiedlich.

Hat das Gericht entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat ist?

Nein, in keiner Weise. Teilweise wird im Internet behauptet, diese Feststellung stünde in dem Urteil. Davon gibt es aber keine Spur, die Frage stand überhaupt nicht zur Debatte und wurde mit keinem Wort aufgeworfen.

Vielmehr ist das Gericht selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Bundesrepublik ein Staat ist: Ansonsten hätte die Bundesrepublik schon gar nicht klagen können, da nur Staaten der Weg vor den IGH offen steht (Art. 34 Abs. 1 des IGH-Statuts). Und zudem war der tragende Gesichtspunkt des Urteils die Staatenimmunität der Bundesrepublik Deutschland; wäre Deutschland kein Staat, könnte seine Staatenimmunität auch nicht verletzt werden.

LAG Hessen, Urteil vom 15.06.2015, 16 Sa 1619/14

Wer in einer Stellenbeschreibung die Anforderung „Muttersprache deutsch“ aufstellt, verstößt gegen den Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG, Antidiskriminierungsgesetz). Es handelt sich um eine verbotene Benachteiligung aufgrund der Ethnie gemäß § 11 i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG, da damit alle Nicht-Muttersprachler von der Stelle ausgeschlossen werden. Das Fordern gerade der Muttersprache und nicht allgemein der perfekten (ggf. schulisch erlernten) Sprachbeherrschung knüpft an die Herkunft und nicht an Fähigkeiten der Person an.

Damit haben Bewerber, die keine Muttersprachler sind und die Stelle nicht bekommen haben, einen Geldentschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 AGG. Der Arbeitgeber hätte gemäß § 22 AGG beweisen müssen, dass er den Bewerber nicht diskriminiert hat; dies ist ihm jedoch nicht gelungen.

BayVGH, Urteil vom 16.02.2006, 4 N 05.779

Das bayerische Kommunalrecht kennt nur zwei Organe von Gemeinden: Den Bürgermeister und den Gemeinderat. Hinter dem Bürgermeister steht natürlich noch die gesamte Gemeindeverwaltung mit ihren Beamten und Mitarbeitern, die in seinem Namen handeln. Je nach Art der Gemeinde wird der Bürgermeister teilweise als Oberbürgermeister, der Gemeinderat als Stadtrat oder Marktgemeinderat bezeichnet.

Welches Organ für eine bestimmte Aufgabe zuständig ist, bestimmt im Wesentlichen Art. 37 Abs. 1 Nr. 1 der Gemeindeordnung. Danach ist der Bürgermeister zuständig für „die laufenden Angelegenheiten, die für die Gemeinde keine grundsätzliche Bedeutung haben und keine erheblichen Verpflichtungen erwarten lassen“. In allen anderen Fällen muss der Gemeinderat entscheiden.

Diese Abgrenzung ist natürlich höchst relativ: Wann ist eine Angelegenheit laufend? Wann hat die grundsätzliche Bedeutung? Wann sind die Verpflichtungen erheblich?

Daher werden häufig summenmäßige Begrenzungen in die Geschäftsordnung des Gemeinderats aufgenommen. Diese regeln bspw., dass der Bürgermeister alle Aufträge der Gemeinde vergeben kann, wenn diese 20.000 Euro nicht überschreiten. Diese Summen sind natürlich völlig unterschiedlich, bei kleinen Dörfern können schon wenige hundert Euro erheblich sein, bei einer Großstadt kann es dagegen um Millionenbeträge gehen.

In der vom Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Sache hatte der Gemeinderat eine Geschäftsordnung erlassen, die die Kompetenzen des Bürgermeisters erheblich beschnitten hat. Dagegen hat der Bürgermeister geklagt.

Zunächst stellt sich die Frage, ob es sich bei der Geschäftsordnung des Gemeinderats überhaupt um eine Rechtsnorm handelt. Denn nur gegen eine Rechtsnorm kann die Normenkontrolle gemäß Art. 47 VwGO beantragt werden. Der VGH hat dies bestätigt, da die Zuständigkeitsverteilung eine Richtlinie gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 2 GO darstelle. Diese Richtlinie verteilt mit bindender Wirkung die Kompetenzen zwischen Gemeinderat und Bürgermeister, sie wirkt nicht nur als Vermutung für die Zuständigkeit.

Etwas seltsam ist, dass der Bürgermeister hier gegen seine eigene Gemeinde (deren Repräsentant er ist) klagt. Der Bürgermeister ist aber ein Organ des Kommunalverfassungsrechts und kann insoweit seine Rechte wahrnehmen. Klagegegner ist nicht etwa der Gemeinderat, sondern nach dem Rechtsträgerprinzip stets die Körperschaft, für die das Organ handelt – hier also die Gemeinde.

In der Sache war die Klage aber erfolglos.

Zwar senkte die neue Geschäftsordnung die Höchstbeträge für die Kompetenz des Bürgermeisters um bis 70 % ab, was eine ganz erhebliche Beschneidung seiner Zuständigkeiten darstellt.

Dies ist aber kein Problem, da der Gemeinderat grundsätzlich allzuständig ist. Er ist das beratende und beschließende Organ der Gemeinde. Eine echte Gewaltenteilung zwischen Gemeinderat und Bürgermeister gibt es nicht, ebenso keine „checks and balances“, die ein Gleichgewicht zwischen den Organen notwendig machen würde.

Was die „laufenden Angelegenheiten“ sind, die gesetzlich zur Zuständigkeit des Bürgermeisters gehören und ihm auch nicht entzogen werden dürfen, unterliegt dem Beurteilungsspielraum des Gemeinderats. Er konkretisiert die unbestimmten Rechtsbegriffe (laufend, grundsätzlich, erheblich; siehe oben) anhand der individuellen Verhältnisse ihrer Gemeinde. Diese Beurteilung ist gerichtlich regelmäßig nicht nachprüfbar.

Eine Unwirksamkeit der Richtlinie wäre allenfalls denkbar, wenn die gesetzliche Regelung des Art. 37 Abs. 1 Nr. 1 GO unterlaufen würde, indem dem Bürgermeister sogar der Kernbereich seiner Zuständigkeiten entzogen wird. Hierfür sah das Gericht aber keine Anhaltspunkte.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 21.05.2008, 2 St OLG Ss 11/08

In dieser instruktiven Entscheidung hatte sich das OLG mit Rechtsfragen der Strafzumessung auseinanderzusetzen. Der Angeklagte war vom Amtsgericht wegen Diebstahls zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Auf seine Berufung hin bestätigte das Landgericht das Urteil. In der Revisionsinstanz hob das OLG jedoch die Strafzumessung auf und verwies die Sache insoweit an das Landgericht zurück.

Im Einzelnen wurden folgende Fehler erkannt:

  • Das LG hat zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass er die gestohlene Sache über längere Zeit in Besitz gehabt hat. Es gehört jedoch zum Tatbestand des Diebstahls, dass der Dieb sich die Sache aneignet.
  • Außerdem hätte nicht zu Lasten des Täters berücksichtigt werden dürfen, dass er keine Schadenswiedergutmachung geleistet hat. Eine Entschädigung des Opfers kann lediglich zum Vorteil des Verurteilten gewertet werden. Das Fehlen eines solchen Strafmilderungsgrunds darf sich aber nicht strafschärfend auswirken.
  • Außerdem hat der Angeklagte die gestohlenen Maschinen umlackiert und ihre Typenschilder entfernt. Das darf sich aber nicht zu seinem Nachteil auswirken, da es dem Täter nicht anzulasten ist, wenn er Tatspuren beseitigt, um sich selbst zu schützen.

Hinweise für Studenten/Referendare:

Die Entscheidung beinhaltet einige typische Strafzumessungsfehler, die einem in Klausuren immer wieder begegnen. Insbesondere die Abgrenzung zwischen dem Vorliegen erschwerender Tatumstände und dem Nichtvorliegen von Milderungsgründen ist häufig nicht ganz offensichtlich.

Bevor man in die Prüfung der Strafzumessung einsteigt, sollte man stets klarstellen, dass die Strafzumessung Sache des Tatrichters ist und das Revisionsgericht nicht etwa eigene Zumessungserwägungen anstellen darf. Angreifbar ist die Strafzumessung vielmehr nur von Rechts wegen, es müssen also in den Urteilsgründen gesetzeswidrige Erwägungen zu finden sein. Ein Ausgangspunkt hierfür ist § 46 StGB, der aber nur sehr allgemeine Kriterien enthält, die intensiver Auslegung bedürfen.

Eine prozessuale Zusatzfrage könnte noch auf § 354 Abs. 1a StPO zielen, der das weitere Vorgehen bei einer erfolgreichen Strafzumessungsrevision betrifft:

  • Satz 1 erlaubt eine Verwerfung der Revision, wenn das Strafmaß trotz der vorliegenden Rechtsfehler angemessen ist.
  • Satz 2 gibt dem Gericht die Möglichkeit, das Strafmaß auf Antrag der Staatsanwaltschaft angemessen herabzusetzen.

Beide Vorschriften wurden erst im Jahr 2004 in die StPO eingeführt. Sie stellen eine gewisse Systemwidrigkeit dar, da das Revisionsgericht dadurch, dass es selbst über die „Angemessenheit“ der Strafe entscheiden kann und somit die Strafzumessung übernimmt. Diese Möglichkeiten sollen in erster Linie zur Verfahrensbeschleunigung beitragen, um eine Rückverweisung zu vermeiden. Hierfür bedarf es allerdings eines umfassenden und aktuellen Strafzumessungssachverhalts, der häufig schon deshalb nicht gegeben ist, weil das Revisionsgericht den Angeklagten nicht vor sich sieht und auch keine persönlichen Verhältnisse ermittelt.

OLG Hamm, Urteil vom 21.10.2014, 1 RVs 82/14

Auch bei geringem Schaden kann ein Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung führen. Das Urteil ist nicht spektakulär, es bestätigt vielmehr die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung und auch die tägliche Spruchpraxis der Amtsgerichte.

Der Diebstahl einer geringwertigen Sache (hier: eine Flasche Wodka im Wert von 4,99 Euro) bedeutet bei einem Ersttäter, dass – je nach Staatsanwaltschaft – das Verfahren (ggf. gegen Auflagen) eingestellt wird oder ein Strafbefehl im unteren Bereich (ca. 10 Tagessätze, also ein Drittel eines Monatsgehalts) ergeht. In beiden Fällen gilt man als nicht vorbestraft, ins Gefängnis kommt man erst recht nicht.

Ganz anders ist es dagegen, wenn man vorbestraft ist, insbesondere mehrfach, insbesondere einschlägig. Während man vielleicht auch bei der zweiten oder dritten Tat noch mit einer mäßigen Geldstrafe rechnen kann, wird es danach relativ schnell auf eine Bewährungsstrafe und schließlich auf eine unbedingte Freiheitsstrafe hinauslaufen.

Denn schließlich steht (zumindest theoretisch) auch bei jedem noch so geringen Diebstahl der volle Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe zur Verfügung. Die konkrete Strafzumessung berücksichtigt dann zwar immer noch den minimalen Schaden, allerdings wird man bei der Wahl zwischen Geld- und Freiheitsstrafe leicht zu einer Freiheitsstrafe kommen.

Zwar soll eine kurze Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB nicht verhängt werden, da bei Bagatellkriminalität die Geldstrafe den Vorrang genießt. Dies gilt aber dann nicht, wenn „besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen.“ Und dies ist eben unerlässlich, wenn jemand permanent beim Stehlen erwischt wird.

Als nächstes ist bei einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu beachten, dass diese zur Bewährung ausgesetzt wird, „wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird“ (§ 56 Abs. 1 StGB). Dass der Täter durch eine Bewährungsstrafe nicht ausreichend gewarnt wird, zeigt er wieder dadurch, dass er Wiederholungstäter ist.