BGH, Beschluss vom 20.09.1999, 5 StR 729/98

person-1281651_640Begeht der Messerverkäufer eine strafbare Beihilfe, wenn er einem Mörder das Messer verkauft hat? Die Frage behaupten die Juristen ebenso wie wohl die meisten Normalbürger: Es kommt darauf an.

Wer Messer verkauft, weil das sein Beruf ist, muss sich nicht bei jedem Kunden fragen, ob dieser damit nun Obst schneiden oder seine Frau umbringen will. Wenn dagegen der Kunde explizit nach einem Messer fragt, mit dem man besonders gut Menschen töten kann, dann darf er diesen Kunden sicher nicht mit einem Lächeln auf den Lippen und fachmännischen Hinweisen beraten.

Dazwischen befindet sich eine große Grauzone, in der der Verkäufer gewisse Befürchtungen, aber keine Gewissheit über mögliche illegale Absichten des Käufers hat. Dazu gehört, dass man grundsätzlich sozialadäquate Tätigkeiten wie Handel und Dienstleistungen nicht unter Generalverdacht stellen darf. Daher darf man eine Beihilfe-Strafbarkeit nur unter sehr hohen Voraussetzungen annehmen.

Der BGH sagt es so:

Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein in berufstypischen neutralen Handlungen bestehender Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, daß sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, daß er sich mit seiner Hilfeleistung „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ ließ.

Diese Abgrenzung ist auf dem Papier sehr einleuchtend. Nur in der Praxis haben die Gerichte natürlich erhebliche Schwierigkeiten, die genauen Umstände aus Sicht des Helfenden und seine persönliche Einschätzung der Tatgefahr festzustellen. Daher wird man im Zweifel sicherheitshalber von jeder möglichen Beihilfehandlung Abstand nehmen müssen – was die Aussage des obigen Urteils eigentlich in ihr Gegenteil verkehrt.

LG Bonn, Urteil vom 05.06.2014, 6 S 173/13

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 20.11.2013 – 204 C 577/11 – abgeändert und folgendermaßen insgesamt neu gefasst:

Das Versäumnisurteil vom 03.05.2013 – Amtsgericht Bonn, 204 C 577/12 – wird dahingehend aufrechterhalten, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, an den Kläger 239,75 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.01.2012 zu zahlen.

Im Übrigen wird es aufgehoben und die Klage wird abgewiesen. „LG Bonn, Urteil vom 05.06.2014, 6 S 173/13“ weiterlesen

VG Darmstadt, Urteil vom 06.12.2011, 7 K 1813/10.DA

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Die Klage ist zulässig, insbesondere richtet sie sich gegen den richtigen Beklagten. Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist die Klage gegen den Rechtsträger zu richten, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat. Bei beliehenen Unternehmen ist die Klage jedoch gegen diese selbst zu richten, nicht gegen den Verwaltungsträger, dessen Aufgaben wahrgenommen werden. Das folgt daraus, dass Beliehene stets rechtsfähig sind. Der Beklagte ist Bezirksschornsteinfegermeister und nimmt mit Erlass des Feuerstättenbescheids ihm gemäß übertragene öffentliche Aufgaben wahr. Er ist mithin insoweit als beliehener Unternehmer tätig.

Ein Beliehener ist eine Privatperson, die kein Beamter ist, aber der vom Staat bestimmte öffentliche Aufgaben übertragen werden. Ein Besipiel dafür ist – wie hier – der Kaminkehrer, aber unter anderem auch der TÜV.

Auch solche Beliehenen handeln im Bereich des öffentlichen Rechts. Man schließt also gerade keinen Vertrag mit dem Kaminkehrer ab, sondern dieser übt eine staatliche Aufgabe aus, wenn er den Schonstein kontrolliert. Dementsprechend ist nicht wie bei zivilrechtlichen Streits das Amtsgericht, sondern das Verwaltungsgericht zuständig.

Hier war nun die Frage, gegen wen die Klage eigentlich zu richten ist: Gegen den Beliehnen selbst oder gegen die staatliche Ebene, die die Beleihung vorgenommen hat?

Das Verwaltungsgericht Darmstadt war der Ansicht, dass richtiger Beklagter der Beliehene selbst ist. Denn der Beliehene ist ja eine Privatperson oder ein Unternehmen, also in jedem Fall selbst Träger von Rechten und Pflichten. Daher muss man nicht unbedingt auf die dahinterstehende staatliche Ebene zugreifen. Prinzipiell denkbar wäre das trotzdem, aber es ist wohl auch einfacher, den Beliehenen gleich selbst in eigener Sache auftreten zu lassen.

Für die Praxis bedeutet dies, dass bei Einreichung einer Klageschrift als Beklagter immer der Beliehene mit der Adresse seines Geschäftssitzes anzugeben ist. Wird fälschlicherweise das Land oder die Kommune verklagt, ist die Klage aber nicht sofort unzulässig oder unbegründet. Vielmehr wird diese so auszulegen sein, dass der richtige Beklagte gemeint ist. Diese Interpretation wird das Gericht regelmäßig selbst vornehmen und es dem Kläger entsprechend mitteilen.

EGMR, Urteil vom 24.01.2017, Nr. 25358/12

Paradiso und Campanelli gegen Italien – Art. 8 EMRK

Die Kläger, ein italienisches Ehepaar, hatte ein Kind adoptiert, das durch eine russische Leihmutter geboren worden war. Das Kind wurde anschließend – unter Umgehung der dortigen Adoptionsbestimmungen – nach Italien verbracht.

Die italienischen Behörden namen das Kind daraufhin in Obhut und brachten es bei einer Pflegefamilie unter.

Die Kläger machten von dem EGMR geltend, dass dadurch ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK verletzt sei.

Der Gerichtshof sah die Klage nicht als begründet an.

„EGMR, Urteil vom 24.01.2017, Nr. 25358/12“ weiterlesen

SG Mainz, Urteil vom 01.12.2016, S 10 AS 816/15

employment-agency-771154_640Im Vorfeld dieser Entscheidung hatte ein Arbeitslosengeld-II-Bezieher bis Ende 2014 Leistungen („Hartz IV“) bewilligt bekommen. Anfang November 2014 wies ihn das Jobcenter auf das baldige Ende des Bezugs hin und schickte ihm die notwendigen Unterlagen, damit er auch Leistungen für das Jahr 2015 beantragen konnte.

Dies geschah jedoch nicht, daher wurde ab Januar 2015 nichts mehr bezahlt. Erst im Juni 2015 wandte sich die Betreuerin des Mannes, die mittlerweile bestellt worden war, an das Jobenter und beantragte rückwirkende Leistungen seit Jahresbeginn.

Dies lehnte das Jobcenter ab, da Leistungen nach den gesetzlichen Bestimmungen erst ab der Antragstellung gewährt werden.

Hiergegen wandte sich der Hartz-IV-Bezieher mit folgenden Argumenten, die jedoch alle kein Gehör fanden:

  • Er sei aufgrund psychischer Probleme nicht in der Lage gewesen, den Antrag auszufüllen, daher müsse ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. as Sozialgericht sah dies anders, da die Regelungen über die Wiedereinsetzung nur dann greifen, wenn eine Frist (z.B. für einen Widerspruch, für eine Prozesshandlung oder für ein Rechtsmittel) versäumt wurde. Fehlt dagegen ein Antrag, können diese Vorschriften nicht, auch nicht analog, herangezogen werden.
  • Er habe seinem Ansprechpartner beim Jobcenter von seinen Problemen erzählt. Dies hilft ihm nach Ansicht des SG aber nicht weiter, da das Jobcenter auch bei Kenntnis von der Lage des Arbeitslosen den Antrag nicht für ihn stellen könne.
  • Das Jobcenter habe seine Pflichten verletzt. Zwar hat auch das Mainzer Sozialgericht angenommen, dass bei einer Pflichtverletzung des Jobcenters eine fiktive Rückverlagerung des Antrags möglich sei. Hier liege aber keine solche Pflichtverletzung vor, da ein Hinweis auf die notwendige Antragstellung ausreichend sei. Ein „Nachhaken“, etwa in Form eines persönlichen Besuchs, sei nicht notwendig.

Im Endeffekt bedeutet dies, dass der Sozialleistungsberechtigte trotz seines an sich zweifellos bestehenden Anspruchs auf „Hartz IV“ kein Geld für immerhin fünf Monate bekommt.

Derartige Antragserfordernisse mit gravierenden Wirkungen bei Versäumnis gibt es nicht nur im Sozialrecht. So ist es bspw. im Rundfunkbeitragsrecht ganz ähnlich: Eine Befreiung von der „GEZ-Gebühr“ muss immer vor dem neuen Beitragszeitraum beantragt werden, eine Rückwirkung ist nur ganz eingeschränkt möglich.

BVerfG, Urteile vom 18. Dezember 2012, 1 BvL 8/11 und 1 BvL 22/11

euro-427533_640Das Bundesverfassungsgericht hat Selbstitulierungsrechte zweier niedersächsischer Banken aus den 1930er-Jahren für verfassungswidrig erklärt.

Was bedeutet Selbsttitulierung?

Um eine Forderung vollstrecken zu können, braucht man einen Titel. Dieser Titel bestätigt, dass die Forderung nicht nur behauptet wird, sondern tatsächlich besteht und berechtigt ist. Im Zivilrecht ist das regelmäßig ein Gerichtsurteil. Dieses beinhaltet nicht nur die Entscheidung des Rechtsstreits, sondern auch die Anweisung an den Gerichtsvollzieher, die Forderung zu vollstrecken, also das Geld beim Schuldner abzuholen und dem Gläubiger zu überbringen.

Behörden dagegen brauchen keinen solchen gerichtlichen Titel, sondern können sich den Titel selbst ausstellen. So sieht bspw. Art. 19 des bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz vor, dass ein Verwaltungsakt dann vollstreckbar ist, wenn er vollziehbar ist und der Verpflichtete seine Pflicht nicht rechtzeitig erbringt. Dieses Recht bezeichnet man als Selbsttitulierung.

Warum hat das Bundesverfassungsgericht das Selbsttitulierungsrecht der Banken für verfassungswidrig erklärt?

Die beiden Gesetze regelten im damaligen Freistaat Oldenburg, dass die Staatliche Kreditanstalt Oldenburg und die Landessparkasse zu Oldenburg ihre Ansprüche selbst titulieren durften und nicht vor einem Gericht einklagen mussten. Dieses Recht hatten aber nur diese beiden Banken, nicht auch alle anderen Oldenburger (Privat-) Banken.

Darin lag eine Bevorzugung dieser beiden Banken. Während die Konkurrenten den teuren und langwierigen Rechtsweg bestreiten mussten, konnten diese einfach selbst über ihre Ansprüche entscheiden. Das war ein klarer Wettbewerbsvorteil, der nicht gerechtfertigt war.

Betrifft das auch das Selbsttitulierungsrecht anderer Behörden?

Nein. Zum einen hat Gericht von vornherein nur über die zwei vorgelegten Gesetze geurteilt. Das Urteil reicht immer nur so weit wie der ausdrückliche Tenor.

Das Urteil ist auch nicht auf andere Behörden übertragbar, da diese in aller Regel nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zu privaten Konkurrenten stehen. Damit liegt also keine Ungleichbehandlung vor, deretwegen das BVerfG diese spezifischen Selbsttitulierung für nichtig erklärt hat.

Kann man das Urteil auf die Selbsttitulierungsrechte der Rundfunkanstalten übertragen?

Man könnte nun meinen, dass das tragende Argument des Urteils, die Konkurrenzsituation, auf die Rundfunkanstalten übertragbar ist. Schließlich sind BR, WDR, NDR & Co. gegenüber privaten Wettbewerbern wie Sky, Amazon oder Netflix im Vorteil, weil sie die Rundfunkbeiträge durch Festsetzungsbescheid titulieren dürfen.

Allerdings liegt hier keine direkte Konkurrenzsituation vor. Denn der Bürger darf sich ja nicht etwa entscheiden, welches der verschiedenen Angebote er nutzen will: Mit dem staatlichen Rundfunk wird er immer kostenpflichtig zwangsbeglückt – ob er will oder nicht, ob er daneben ein Netflix-Abonnement hat oder nicht. Durch die Selbsttitulierung haben die Anstalten also keinen Marktvorteil, da sie sich dem Markt gar nicht erst stellen müssen.

Daher ist das Urteil wahrscheinlich nicht analog anwendbar. Eine Entscheidung darüber ist aber anscheinend noch nicht ergangen.

BGH, Urteil vom 07.11.2016, AnwZ (Brfg) 47/15

Wir Juristen sind gemeinhin – aber nicht immer zu Recht – bekannt für merkwürdige Standesauffassungen. Wenngleich es hierzulande keine altehrwürdigen weißen Perücken wie in Großbritannien gibt, gehört eine Robe doch zum Anwalt dazu. Tatsächlich ist die Robe aber seit Jahren eher auf dem Rückzug. Zumindest vor vielen Zivilgerichten ist das Tragen einer Robe heute nicht mehr üblich.

Nun kam ein Anwalt auf die Idee, er könne doch seine Robe mit einem Namensschild einschließlich seiner Internetadresse versehen. Freilich nicht, um Verwechslungen vorzubeugen, sondern um Werbung für sich und seine Kanzlei zu machen. Das ging der örtlichen Anwaltskammer aber zu weit und sie beschied seine Anfrage, ob dies denn zulässig sei, abschlägig.

Dafür wurden folgende Gründe angeführt (sinngemäß zusammengefasst):

Es dient der Übersicht im Verhandlungsraum, wenn der Anwalt anhand der Robe als solcher erkennbar ist.

Das mag richtig sein, geht hier aber an der Sache vorbei: Denn zum einen bleibt auch ein Anwalt mit bedruckter Robe ein Anwalt mit Robe. Dann ist er als Anwalt erkennbar, mit Aufdruck sogar noch besser. Zum anderen ist eine Robe keinesfalls überall Pflicht. Und auch in Verhandlungen mit Anwälten in ziviler Kleidung sind keine übermäßigen Verwechslungen unter den Beteiligten bekannt.

Ein Anwalt in Einheitsmontur tritt hinter seiner Person zurück und wird zu einem (quasi anonymen) Organ der Rechtspflege, das nicht eigenen oder einzelnen Interessen dient, sondern dem Recht an sich.

Wenn man davon ausgeht, dann müsste dies eigentlich auch für anwaltliche Schriftsätze gelten, die in den meisten Prozessen viel bedeutender sind als das Geschehen im Gerichtssaal. Und in diesen Schriftsätzen verschwindet die Person des Anwalts keineswegs in einem namenlosen juristischen Nexus, sondern er firmiert auf klar zuzuordnendem Briefpapier in teilweise auffälligem Design.

Die Werbung für die Kanzlei auf der Robe ist unsachlich, da sie die Robe zweckentfremdet.

Den Punkt kann man noch am ehesten nachvollziehen. Wenn man der Meinung ist, dass ein Anwalt auf seiner Robe nicht zu werben hat, dann darf er auf seiner Robe auch nicht werben. Argumentativ ist das natürlich kaum zu untermauern, es ist vielmehr eine ziemlich subjektive Einschätzung. Und diese Einschätzung ist laufend Wandlungen unterworfen.

Denn es ist noch nicht so wahnsinnig lange her, da empfand man anwaltliche Werbung per Zeitungsannonce schlechterdings als standesunwürdig – was zur Folge hatte, dass auffallend viele Anwälte nicht werbende, sondern informierende Hinweise in Zeitungen abdrucken ließen, dass sie aus dem Urlaub zurückgekehrt und nun wieder für ihre Mandanten da seien. Später ließ man – kein Witz! – schwarz-weiße Werbung zu, hielt aber farbige Rahmen für standesunwürdig. Mit der Zeit wurde die Werbung des Rechtsanwalts aber immer weiter liberalisiert, sodass ihm heute fast alle Reklameformen offen stehen. Insofern gibt es kaum Zweifel daran, dass auch Name und Domain auf einer Robe irgendwann erlaubt sein werden.

LG Tübingen, Beschluss vom 09.12.2016, 5 T 280/16

Das LG Tübingen sorgt wieder einmal für Furore: Es hält im Beschluss vom 9. Dezember (Az. 5 T 280/16) an seiner Rechtsprechung fest, nach der die Rundfunkanstalten keine Behörden sind. Die Entscheidung im Volltext: http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=21647 (unten angegebene Randnummern beziehen sich darauf)

Verfahren bleibt bis zur BGH-Entscheidung ausgesetzt

lady-justice-677945_640In seinem vielbeachteten Urteil vom 16.09.2016 hatte es dies zuerst entschieden, allerdings die Rechtsbeschwerde vor den Bundesgerichtshof zugelassen, um eine endgültige höchstrichterliche Klärung der Sache zu erreichen. Ein weiteres, später bei ihm eingetroffenes Verfahren hatte das LG Tübingen deswegen ausgesetzt, um es erst dann zu entscheiden, wenn das BGH-Urteil vorliegt. Dass dieses Verfahren weiterhin ausgesetzt bleibt, hat es nun entschieden.

Fernduell mit dem Verwaltungsgerichtshof

Auslöser dafür war ein Urteil des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs, das dieser Einschätzung widersprochen hatte. Dieses Urteil hat für das Landgericht an sich keinerlei Bedeutung, da es sich um ein Gericht ein anderes Rechtszugs handelte: Das Landgericht ist ein Zivilgericht, das nur deswegen zur Entscheidung berufen ist, weil es eine Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher ging. Der VGH ist dagegen ein Verwaltungsgericht, das über die Richtigkeit des Beitragsfestsetzungsbescheids geurteilt hat. Diese Gerichte stehen also nebeneinander, keines ist dem anderen übergeordnet. Das Landgericht Tübingen hat dies lediglich zum Anlass genommen, seine eigene Rechtsauffassung zu überprüfen – oder dem VGH die Unrichtigkeit von dessen Auffassung darzulegen.

Dabei hat das Landgericht zum einen auf die Gegenargumente des VGH geantwortet, zum anderen aber auch neue Gesichtspunkte vorgebracht:

  • Der Erlass von Verwaltungsakten durch die Rundfunkanstalt ist kein Beleg für deren Behördeneigenschaft. Vielmehr ist die Behördeneigenschaft Voraussetzung für die Annahme eines Verwaltungsakts. Eine Nicht-Behörde könnte auch nicht einfach die Handlungsform eines Verwaltungsakts wählen und sich damit zur Behörde aufschwingen. (Rndr. 3)
  • Ein Grunddogma des öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist dessen (angebliche) Staatsferne. Dem widerspricht es, die Rundfunkanstalten als Behörden anzusehen. (Rndnr. 4)
  • Die vom VGH angenommene „Einordnung in den Organismus der Staatsverwaltung“ werde nicht näher erläutert. (Rdnr. 5)
  • Die Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder lassen keinen Schluss hinsichtlich der Behördeneigenschaft zu, da diese andererseits an die Verwaltungsvollstreckungsgesetze gebunden sind. Allerdings handelt es sich insoweit eher um eine allgemeine Kritik des LG an der Rechtslage, weniger um eine Argumentation in der Sache. (Rdnr. 6 und 7)
  • Eine Rechtsfortbildung durch die Gerichte sei nicht zulässig, da die Rechtslage insoweit klar sei. (Rdnr. 8)
  • Der Melderegisterabgleich dringt in die Privatsphäre der Bürger ein und verlangt zudem Auskünfte darüber, zwischen welchen Personen auch eine Wohngemeinschaft besteht. (Rdnr. 9)
  • Pro Wohnung muss nur noch eine Person den Beitrag zahlen. Die Anstalten nehmen sich insoweit das Recht heraus, einen von mehreren Beitragsschuldner pro Wohnung auszuwählen. Dabei gelten die üblichen Ermessensvorschriften nicht, die Anstalt muss die Festlegung nicht durch Verwaltungsakt treffen und der Herangezogene kann sich gegen seine Verpflichtung nicht wehren. Außerdem entstehen für diese Person Säumniszuschläge, ohne dass er weiß, dass die Anstalt gerade ihn heranziehen wird. (Rdnr. 9)
  • Wenn die Rundfunkanstalten Inhalte im Rahmen des Internets anbieten, das nicht dem konventionellen Rundfunk (Radio und Fernsehen) unterfällt, kann daraus keine Beitragspflichtig für Internetnutzer entstehen. Das ist wiederum eine allgemeine Kritik an den Rundfunkstaatsverträgen und dem öffentlich-rechtlichen System. (Rdnr. 10)
  • Kommt der Rundfunk jedem zugute, handelt es sich nicht um Sondervorteile, die nach abgabenrechtlichen Grundsätzen durch Beiträge zu decken sind, sondern die Finanzierung müsste aus dem allgemeinen Steuertopf bestritten werden. (Rdnr. 11)
  • Die Werbegrundsätze für die öffentlich-rechtlichen Sender sind unlogisch. (Rdnr. 12)
  • Die Kosten pro Bürger driften extrem auseinander: Teilen sich mehrere Erwachsene eine Wohnung, muss jeder nur einen Bruchteil des Beitrags bezahlen. Hat dagegen ein Alleinstehender noch eine Nebenwohnung, eine gewerbliche Niederlassung und/oder einen beruflich genutzten Pkw, so vervielfacht sich dessen Beitragsschuld. (Rdnr. 13 und 14)

Resümee

radio-1682531_640Die fünfte Tübinger Zivilkammer liefert wieder zahlreiche Argumente gegen den Rundfunkbeitrag. Diese befassen sich nicht länger nur mit Fragen des Vollstreckungsrechts, die es selbst zu prüfen hat. Vielmehr handelt es sich um eine richtiggehende Breitseite gegen die Fundament des Staatsrundfunks (v.a. Rdnr. 9 bis 14).

Möglicherweise – das ist aber nur eine Mutmaßung – bereitet der zuständige Richter bereits den nächsten Schritt vor, nämlich eine Richtervorlage zum Bundesverfassungsgericht. Denn in den Vorverfahren ließ er die Vollstreckung noch an materiell-rechtlichen Gesichtspunkten scheitern, zuletzt an der mangelnden Selbsttitulierungsbefugnis der Rundfunkanstalten als „Nicht-Behörden“.

Kommt die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht?

Wenn der BGH diese Entscheidung aufhebt, müsste das LG beim nächsten ähnlichen Fall der Rundfunkanstalt Recht geben, sofern es keine weiteren Argumente mehr findet. Dann könnte das Gericht aber Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit gegen die Inhalte der Rundfunkstaatsverträge, die durch die Zustimmungsgesetze der Länder zum Landesrecht geworden sind und die es nun selbst anwenden müsste, haben. Folge wäre dann eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht, das dann die Verfassungsmäßigkeit der Verträge überprüfen müsste.

Das wäre tatsächlich ein Paukenschlag, der die bisherigen formaljuristischen und nur die Vollstreckung betreffenden Entscheidungen weit überflügeln würde.

OVG Rh-Pf, 10 A 11083/11 und OVG Sachsen, 2 A 128/10

Zwei Urteile von Oberverwaltungsgerichten hatten, wenngleich in ganz unterschiedlichen Konstellationen, das Verhältnis zwischen Prüfern und Prüflingen zum Gegenstand. Kurzinformationen auf urteilsbesprechungen.de sind jeweils verlinkt.

Im Urteil des OVG Rheinland-Pfalz (03.02.2012, 10 A 11083/11) hatte eine Rechtsreferendarin den schriftlichen Teil des Zweiten Staatsexamens mit vier Punkten, also gerade noch, bestanden. In der mündlichen Prüfung in ihrem Wahlfach (Steuerrecht) musste sie einen Aktenvortrag abliefern, also ein Referat über einen Fall halten, der ihr ca. eine Stunde zuvor ausgeteilt wurde.

stamp-867744_640Dabei erhielt sie stolze 16 von maximal 18 Punkten. Da die Korrektoren mit sehr guten Bewertungen notorisch geizig sind, stieß sie damit in die absolute Spitzengruppe vor. Während man sich in der mündlichen Prüfung regelmäßig verbessert, teilweise sogar deutlich, ist eine derart enorme Verbesserung von „gerade noch ausreichend“ zu „sehr gut“ schon außergewöhnlich – aber auch nicht völlig beispiellos.

Nun hatte dieser Fall aber auch noch eine spezielle Besonderheit: Der Lebensgefährte der Referendarin ist selbst Jura-Professor. Und zwar für Steuerrecht. In dieser Eigenschaft war er auch Prüfer. Im selben Termin wie seine Freundin. Sogar am selben Tag, aber natürlich bei einer anderen Prüfung. Und er prüfte dabei denselben Aktenvortrag, der ihm einige Tage vorher vom Landesprüfungsamt zugeschickt worden war.

Dieser Zufall macht natürlich unwillkürlich misstrauisch. Hat er seiner Lebensgefährtin die Fallangabe für ihren Aktenvortrag vorher mitgeteilt? Dieser Verdacht drängt sich förmlich auf, nicht nur angesichts der enormen Verbesserung der Kandidatin.

Doch der Professor beteuerte, die Unterlagen verschlossen aufbewahrt und außerdem nicht gewusst zu haben, dass das Prüfungsamt denselben Sachverhalt für mehrere Prüfungen verwenden würde. Auch die Examenskandidatin bestritt jede unlautere Kenntnisnahme des Prüfungsgegenstands. Sie haben sich lediglich intensiv auf ihr Wahlfach vorbereitet und in diesem auch während des Referendariats schon gute Noten erhalten.

Etwas anderes konnte ihr auch das Oberverwaltungsgericht nicht nachweisen, daher blieb es bei den festgestellten Noten.

Keine persönliche Beziehung hatte die Kandidatin und ihr Korrektor dagegen in dem Fall, um den es im Urteil des OVG Sachsen (02.06.2010, 2 A 128/10) ging – zumindest am Anfang. Nachdem sie das erste Staatsexamen auch im zweiten Anlauf nicht bestanden hatte, wollte die Studentin gegen die Bewertungen vorgehen. Neben der gerichtlichen Anfechtungsklage gibt es dabei in den meisten Studienordnungen noch die Möglichkeit eines Nachprüfungsverfahrens, bei dem die Klausur mit den Einwendungen des Prüflings an die ursprünglichen Prüfer zurückgegeben wird, damit dieser seine Bewertung noch einmal überdenken kann.

telephone-586268_640Um ihre Einwendungen auch erfolgversprechend formulieren zu können, setzte sich die Studentin dann mit dem Prüfer einer ihrer Klausuren in Verbindung. Die Identität der Prüfer ergibt sich aus den Korrekturen und anscheinend ließ sich so dank Google seine dienstliche Telephonnummer ermitteln. So kam es dann zu zwei anscheinend recht sachlichen Gesprächen zwischen Prüfer und Kandidatin, bei denen Letztere sowohl die Schwächen ihrer Arbeit näher eruierte als auch mitteilte, dass sie nur denkbar knapp durchgefallen und dies ihr letzter Versuch sei.

Dann kamen dem Korrektor Zweifel. Schließlich kannte er die zu prüfende Person nun und konnte bei der Frage, ob er ihre Note nachträglich anheben würde, nicht mehr nur eine völlig anonyme Klausur bewerten, sondern hätte immer die persönliche Situation der Referendarin im Hinterkopf. Dies teilte er dem Prüfungsamt mit und bat darum, doch jemand anderen mit der Nachkorrektor zu beauftragen, da er befangen sei.

Das Prüfungsamt reagierte rigoros: Die Klausur sei jetzt wegen Prüferbeeinflussung mit null Punkten zu bewerten. Das bedeutete natürlich, dass die Kandidatin nun erst recht durchgefallen war und es zu einer Nachprüfung dieser Klausur überhaupt nicht mehr kommen musste, da die Note jetzt nicht mehr für ihre Leistung vergeben wurde, sondern für den Beeinflussungsversuch.

Hiergegen wehrte sie sich naturgemäß durch gerichtliche Klage, hatte jedoch keinen Erfolg. Denn ein unlauterer Beeinflussungsversuch läge in jedem Fall vor:

  • Entweder der Korrektor erklärt sich – wie geschehen – für befangen, dann hat die Studentin eine neue Chance, dass der Ersatzkorrektor sie doch bestehen lässt. Vielleicht sind seine Anforderungen niedriger oder er gewichtet die positiven und negativen Teile der Klausur anders oder sie hat einfach Glück mit ihm. Jedenfalls wäre die Wahrscheinlichkeit des Bestehens dann zumindest potentiell höher als wenn ein Korrektor, der schon einmal ein „Mangelhaft“ vergeben hat, seine Entscheidung nochmal überdenkt.
  • Oder der Korrektor empfindet seine Unabhängigkeit nicht als beeinträchtigt und sieht sich seine Bewertung noch einmal an. Dann ist aber nie auszuschließen, dass er unbewusst doch Mitleid mit dieser Studentin empfindet, die er nun auch persönlich kennt und der er mit einer kleinen Notenverbesserung die berufliche Zukunft sichern würde.

Die Kandidatin kann also in jedem Fall nur gewinnen. Damit beeinflusst sie durch ihr Vorgehen das Prüfungsergebnis.

Prüfungsamt und OVG sind hier sicher vor keiner leichten Entscheidung gestanden. Jeder kann ohne Weiteres nachvollziehen, warum diese Studentin so gehandelt hat. Bei einer wichtigen Prüfung, noch dazu bei der letzten Chance, lässt man nichts unversucht, um eben doch noch das erstrebte Ergebnis zu erreichen. Auch wurde von keiner Seite behauptet, die Klägerin habe in irgendeiner Form Druck auf den Korrektor ausgeübt.

Aber das Interesse an einer für alle gleichmäßigen Bewertung der Prüfungsleistungen, ohne Ansehung der Person und ohne persönliche Beratung mit dem Prüfer, wurde hier offensichtlich höher gewichtet als die Not einer Prüfungsteilnehmerin. Vielleicht muss man es auch so sehen: Wenn das erlaubt wäre, dann müssten und würden die Prüfer damit rechnen, dass die Prüflinge, bei denen es auf das Bestehen ankommt, ohnehin persönlich auf sie zukommen und sie dann ihre Entscheidung noch einmal feinjustieren können. Im Gegenzug würden sie dann wahrscheinlich die allgemeinen Bewertungsmaßstäbe entsprechend hochsetzen.

Für alle Studenten, auch schon im normalen Klausurbetrieb der verschiedenen Kurse, kann die Lehre nur lauten: Finger weg von jeder persönlichen Kontaktaufnahme mit Korrektor oder Professor.

Urteilssammlung: Unterschrift oder Paraphe?

portfolio-402179_640Heute besprechen wir nicht ein einzelnes Urteil, sondern stellen Kernaussagen vieler Urteile vor. Dabei geht es immer um die Frage, ob eine gültige Namensunterschrift oder eine bloße Paraphe vorlag. Die Bedeutung diese Unterscheidung finden Sie im Artikel „Unterschrift oder Paraphe? Fragen zur Schriftform“ auf Sie hören von meinem Anwalt.

Eine Unterschrift haben die Gerichte in folgenden Fällen angenommen:

  • BGH, IX ZR 24/97: Drei Striche, die ein K bilden, wobei der rechte untere Strich sich in einer leicht nach oben schwingenden Linie fortsetzt. Das Gericht hat diese Linie als Andeutung der sieben weiteren Buchstaben seines Namens gesehen.
  • BGH, VIII ZB 105/04: Strich und gewellte weitgehend gleichförmige Linie; kein einziger Buchstaben erkennbar.
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  • BGH, VIII ZB 67/09: Lesbares R, nicht lesbares Zeichen (a oder z) und vier Zentimeter lange, geschwungene Linie. Buchstaben, die keine Ober- oder Unterlängen haben (a, c, e, m, n, o usw.) dürfen „bei flüchtiger Schreibweise durchaus zu einer längeren, wellenförmigen Linie verkümmern“.
  • LAG Nürnberg, 2 Sa 100/11: M als Abkürzung des Vornamens, Z (Anfangsbuchstabe der Nachnamens), wobei der mittlere Querstrich des Z in einer geschwungenen, drei Zentimeter langen Linie nach rechts und anschließend nach einer Schleife wieder zum Z zurück führt, i-Punkt.
  • LAG Düsseldorf, Az. 12 Sa 1392/12: Fünf Zentimeter langer Schriftzug, bestehend aus einem großen Kringel, einem kleinen Strich, einem Punkt, auf- und absteigenden Linien, aufsteigende Schleife. Der Anfang bis zum Punkt wurde als „Dr.“ interpretiert, im Übrigen waren keine Buchstaben erkennbar.

Dagegen wurden folgende Unterzeichnungen als bloße Paraphe angesehen, die der Schriftform nicht genügt:

  • BGH, Ia ZB 1/67: „Dr. Yp“, wobei für die weiteren Buchstaben des Familiennamens „Ypsilon“ (anonymisierende Phantasiebezeichnung) keinerlei Andeutung erkennbar war. Das „p“ sei laut Gericht tatsächlich nichts weiter als ein „p“.
  • BGH, VII ZB 2/74: Nach unten rechts offener Rundhaken, der in zwei auseinandergezogenen Wellen ausläuft und sich insgesamt nur als „gekrümmte Linie“ darstellt. Keine Ähnlichkeit mit einem S, dem Anfangsbuchstaben des unterschreibenden Rechtsanwalts. Zudem hatte der Anwalt zuvor eine ganz andere Unterschrift verwendet.
  • BGH, III ZR 39/81: „Nahezu senkrecht verlaufende Linie mit feinem Aufstrich und kurzem wellenförmigem Auslauf“, die allenfalls als ein Buchstabe (L) erkennbar ist. (In den 80er-Jahren verlangte der BGH für die Annahme einer „Schrift“ noch, dass Schriftzeichen erkennbar sind. Ob dieses Urteil heute noch so ergehen würde, ist fraglich.)
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  • BGH, V ZR 112/92: „M. D.“, wobei das D in einem leichten Aufwärtshaken endet. Der Unterzeichner hatte in anderen, unbeanstandeten Schriftsätzen seinen Nachnamen immer bis zum vierten Buchstaben deutlich lesbar geschrieben.
  • BGH, IV ZR 122/05: „H. Bl“ oder „H. Bla“ für einen aus neun Buchstaben bestehenden Familiennamen ist „bewusste und gewollte Namensabkürzung“.
  • Brandenburgisches OLG, 3 U 87/06: Anfangsbuchstabe des Namens eines Richters, wenn dieser sonst mit „voll ausgeführter Unterschrift“ unterzeichnet.
  • LAG Berlin-Brandenburg, 6 Sa 2345/09: „Zwei durch einen Punkt getrennte mehr oder minder offene Haken, wobei der Punkt so tief gesetzt ist, dass er diese beiden Haken wie die Initialen von Vor- und Familiennamen des Unterzeichners erscheinen lässt“.
  • LAG Hamm, 8 Sa 781/11: Eine nach links und rechts geschwungene Linie, welche in etwa einem unvollendeten „S“ entspricht. Für die sieben restlichen Buchstaben des Namens, die auch Ober- und Unterlängen enthalten, ergaben sich keine Anhaltspunkte.
  • LAG Baden-Württemberg, 4 Sa 93/12: Anfangsbuchstaben von Vor- und Nachname sind als bloße Initialen keine Unterschrift.