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Kategorie: Strafgerichte
OLG Oldenburg, Beschluss vom 10.06.2015, 1 Ss 55/15 (Rücktritt von der Beihilfe am Tatort)
Wer eine Straftat nur versucht, macht sich nach dem deutschen StGB regelmäßig (außer bei einigen Vergehen, bei denen nur die Vollendung strafbar ist) bereits schuldig. Die Strafe ist zwar in der Regel niedriger, aber ganz straflos kommt man normalerweise nicht davon.
Damit ein Täter aber einen Anreiz bekommt, doch noch von seiner Tat abzulassen und keinen echten Schaden herbeizuführen, gibt es in den §§ 24 und 31 StGB das Rechtsinstitut des Rücktritts. Wer freiwillig auf die Vollendung seiner Tat verzichtet, macht sich demnach überhaupt nicht strafbar, auch nicht wegen des Versuchs.
Täter wollten Geldautomaten sprengen
Das Oberlandesgericht Oldenburg hatte nun folgenden Fall zu entscheiden:
Zwei Personen hatten vor, nachts in eine Bankfiliale zu gehen, um dort den Geldautomaten zu sprengen und das darin lagernde Geld an sich zu nehmen. Nachdem bereits auf dem Weg dorthin eine geradezu slapstickartige Panne passiert war (der Bollerwagen, auf dem die für die Sprengung vorgesehene Gasflasche transportiert wurde, brach zusammen und die Täter flohen panikartig), wollte der eine Angeklagte die Tat lieber lassen, da ihm das Ganze nun zu gefährlich war.
Verurteilung wegen Beihilfe
Sein Partner ließ sich jedoch nicht beirren und fuhr mit dem Vorhaben fort wie geplant. Auch hier lässt sich ein gewisses komödiantisches Element nicht leugnen: Die Explosion verursachte einen Schaden von 100.000 Euro, hat also die Bankfiliale wohl großteils verwüstet – nur den Geldautomaten nicht, der hielt nämlich stand und offenbarte nichts von seinem wertvollen Inhalt.
Der Angeklagte wurde vom OLG Oldenburg nun letztinstanzlich wegen Beihilfe zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion verurteilt. Das Strafmaß blieb bei zwei Jahren Gefängnis ohne Bewährung, die das Landgericht festgesetzt hatte (das Revisionsgericht kann in aller Regel ohnehin kein Strafmaß festlegen).
„Kalte Füße“ sind kein Rücktritt
Insbesondere wurde verneint, dass die Voraussetzungen eines Rücktritts vorliegen. § 24 Abs. 2 Satz 1 war offensichtlich nicht gegeben:
Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert.
Denn die Vollendung wurde ja gerade nicht verhindert, es kam zu einer Sprengstoffexplosion. Dass der zugleich geplante Diebstahl nicht zustande kam, spielte wohl keine Rolle mehr, da dieses Delikte gegenüber der Explosionsverursachung deutlich weniger gravierend ist. Zudem war dieser Rücktritt nicht freiwillig, sondern der Tatsache geschuldet, dass sich der Geldautomat einfach nicht knacken ließ.
§ 24 Abs. 2 Satz 2 StGB sieht aber noch eine andere Rücktrittsmöglichkeit vor:
Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie (…) unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.
Demnach ist also auch ein Täter straffrei, der zurücktreten will, aber dessen Komplizen dann einfach ohne ihn weitermachen. Allerdings darf die Vollendung dann nicht auf den Tatbeitrag des Zurücktretenden zurückzuführen sein. Die Tat muss also so vollendet worden sein als habe es diesen Komplizen überhaupt nicht gegeben. Dies ist gewissermaßen logisch, denn sonst könnte jemand ganz erhebliche Hilfe leisten und sich unmittelbar vor der Tat pro forma verabschieden, um seine Straffreiheit zu sichern.
Helfer hätte Hilfeleistung rückabwickeln müssen
Hier war der Tatbeitrag des Angeklagten aber noch immer vorhanden. Schließlich hatte er geholfen, die Gasflasche zu transportieren – und ohne Gasflasche wäre es zu keiner Explosion gekommen. Dass er es sich im letzten Moment anders überlegt hat, wird freilich bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten berücksichtigt worden sein. Um wirkliche Straffreiheit zu erlangen, hätte er aber seine Hilfeleistung vollständig rückgängig machen müssen. Das wäre hier wohl nur dadurch denkbar gewesen, dass er die Gasflasche vom Tatort weggetragen hätte.
BGH, Urteil vom 20.12.2012, 3 StR 117/12
In diesem Urteil musste der BGH über die Verwertbarkeit sogenannter „Beinahetreffer“ bei DNA-Tests entscheiden, die zwar nicht den Täter, aber dessen Verwandte belasten.
Vorgeschichte
Im Juli 2010 war eine Frau überfallen und brutal vergewaltigt worden. Da Genmaterial des Täters sichergestellt werden konnte, wurde eine DNA-Reihenuntersuchung gemäß § 81h angeordnet. Alle Männer aus der Tatortgemeinde zwischen 18 und 40 Jahren wurden gebeten, freiwillig Speichelproben zum Abgleich abzugeben. Wie immer in solchen Fällen kamen fast alle Personen der Bitte nach. Bei zwei der Proben wurde festgestellt, dass diese Männer sicher nicht die Täter waren, dass ihre DNA aber in einer bestimmten Gensequenz (Allel) mit der des Täters übereinstimmte. Damit waren Verwandte dieser beiden Personen dringend verdächtigt.
In der Folge ordnete der Ermittlungsrichter gemäß § 81a StPO, dem Sohn bzw. Neffen der beiden Personen (der als Minderjähriger von der Reihenuntersuchung nicht erfasst war) Körperzellen zu entnehmen und einen DNA-Test durchzuführen. Dieser ergab, dass er der Täter war. Aufgrunddessen wurde er schließlich zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt.
Revision zum BGH
Mit seiner Revision zum Bundesgerichtshof rügte der Angeklagte, dass die DNA-Reihenuntersuchung nicht hätte verwendet werden dürfen. Dem hat sich der BGH im Ergebnis nicht angeschlossen:
1. Die Voraussetzungen für eine Reihenuntersuchung nach § 81h Abs. 1 StPO lagen vor. Eine erhebliche Straftat war gegeben und es wurde Spuren gefundenen, die man auf diese Weise möglicherweise einer bestimmten Person zuordnen konnte. Aufgrund der Schwere der Tat war das Vorgehen auch verhältnismäßig.
2. Allerdings dürfen die Erkenntnisse aus einer Reihenuntersuchung gemäß § 81h Abs. 1 nur für und gegen die Teilnehmer an dieser Untersuchung verwendet werden („soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von diesen Personen stammt“). Ihre Verwendung in Verfahren gegen andere Personen (wie eben hier den angeklagten Jugendlichen) ist dagegen unzulässig.
kein Verwertungsverbot
3. Die rechtswidrige Gewinnung der Erkenntnisse führt aber nicht zur Unverwendbarkeit. Dieser – bis dato ungeklärten Frage – widmet sich der BGH geradezu schulmäßig:
a) Durch die unrechtmäßige Erlangung von Indizien gegen den Täter wird auch der §-81a-Beschluss erfasst, da dieser ohne die DNA-Erkenntnisse keine Grundlage hat.
b) Insbesondere hätten Erkenntnisse aus Untersuchungen von Verwandten nicht verwendet werden dürfen, da hier die Vorschriften über das Zeugnisverweigerungsrecht entsprechend anzuwenden sind (§ 81c Abs. 3 Satz 1, § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO).
c) Auf einen Verstoß gegen das Untersuchungsverweigerungsrecht können sich nicht nur die betroffenen Angehörigen, sondern auch der Angeklagte selbst berufen. Denn die Vorschriften schützen nicht nur einzelne Personen, sondernn die Familienbande an sich.
d) Da die Frage der Verwertbarkeit der rechtswidrig erlangten Erkenntnisse gesetzlich nicht geregelt ist, muss die Frage anhand einer umfassenden Abwägung entschieden werden:
aa) § 81g Abs. 2 Satz 2 StPO will grundsätzlich eine Verwendung der DNA-Daten verhindern.
bb) §§ 244 Abs. 2, 261 verpflichtet das Gericht, sich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung unter Heranziehung aller verfügbaren Beweismittel eine Überzeugung zu bilden.
cc) Zufallsfunde sind nicht stets unverwertbar, vgl. §§ 108 Abs. 1, 477 Abs. 2 Satz 2.
dd) Es handelte sich um keine bewusste oder gar willkürliche Gesetzesumgehung, sondern um einen ermittlungstechnisch vertretbaren Ansatz, die festgestellte Verwandtschaft zum Anlass zu nehmen, in der Familie weiterzuforschen.
Im Ergebnis wurde also ein Rechtsverstoß bejaht, die gewonnenen Erkenntnisse konnten aber trotzdem die Verurteilung stützen. Eine hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht angenommen und damit die Haltung der Fachgerichte bestätigt.
Hinweise für Studenten und Referendare
Die Entscheidung könnte durchaus klausurrelevant sein. Denn die hierfür notwendige Vorgeschichte ist in einigen wenigen Sätzen erklärt. Dann sollte man vor allem die Frage der Rechtmäßigkeit der Reihenuntersuchung und die Rechtmäßigkeit der Verwendung auf einen Dritten auseinanderhalten und beides sorgfältig prüfen. Die meisten Punkte wird es dann darauf geben, ob man aus einer rechtswidrigen Verwendung auch ein Verwertungsverbot konstruiert – hier kann man aber auf allgemeine Kenntnisse zu den Verwertungsverboten für andere Beweismittel zurückgriefen. Wie immer sind für die Bewertung der Klausur die Argumente entscheidend und hier sollte man die Überlegungen der BGH zumindest grob parat haben.
Auch im Mündlichen kann man einige Fragen dazu stellen. Aufgrund des Umfangs der §§ 81 bis 81h StPO sollte man diese zumindest überblicksmäßig kennen, da es schwierig ist, sich diese durch schnelles Lesen zu erschließen. Wichtig ist insbesondere, dass § 81h einerseits einen richterlichen Beschluss voraussetzt, andererseits aber auch das Einverständnis der Untersuchungsteilnehmer – es handelt sich also um eine richterlich angeordnete Freiwilligkeit. Der Gedanken dahinter ist wohl, dass sich faktisch jeder verdächtig macht, der nicht daran teilnimmt, und so doch wieder eine gewisse Verpflichtung vorliegt.
AG Düsseldorf, Urteil vom 25.07.2016, 101 Ls 19/16
Eine Lehrerin hat, nachdem sie in Teilzeit gegangen war, weiterhin volle, sogar noch höhere Bezüge als zuvor erhalten. Insgesamt entstand dem Land Nordrhein-Westfalen so ein Schaden in Höhe von 237.000 Euro, der bisher noch nicht wiedergutgemacht wurde. Das Amtsgericht Düsseldorf hat sie nun zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Bewährungsauflage ist die Rückzahlung des zu Unrecht erhaltenen Betrags.
Weswegen wurde die Angeklagte verurteilt?
Die Verurteilung erfolgt wegen Betrugs durch Unterlassen. Sie hat zwar nicht – wie für einen Betrug an sich notwendig ist – selbst getäuscht. Sie hat es aber unterlassen, das Land auf seinen Irrtum aufmerksam zu machen und diesen daher „unterhalten“, also bestehen lassen.
Ist man verpflichtet, andere auf überhöhte Zahlungen hinzuweisen?
Grundsätzlich nicht. Strafbar ist man bei einem Unterlassen gemäß § 13 Abs. 1 StGB nur, wenn man rechtlich dafür einzustehen hat, dass ein bestimmter Erfolg (hier: der Irrtum und die anschließende Vermögensschädigung) nicht eintritt. Dies ist eine sogenannte Garantenstellung. Als einfacher Vertragspartner hat man aber keine solche Garantenstellung.
Bei einem Beamten ist das jedoch anders. Diesen treffen Treuepflichten aus seinem Beamtenverhältnis, wegen derer er auch einen Irrtum des Staates hinsichtlich seiner Gehaltszahlungen aufklären muss.
Ist nicht schon ein Teil des Schadens verjährt?
Nein, denn beim sogenannten Rentenbetrug (dieser hat nichts mit der Altersrente zu tun, sondern meint jede Zahlung, die regelmäßig geleistet wird) verjährt die gesamte Tat erst, wenn die letzte Zahlung erfolgt ist. Eine vorherige Verjährung von Teilen der Schadenssumme kommt damit nicht in Betracht. Dies ist aber regelmäßig ohnehin nur für die Strafzumessung relevant, denn das Delikt des Betruges bleibt dasselbe, egal, für welche Zeit es erfolgt ist.
Sind neun Monate auf Bewährung das normale Strafmaß bei dieser Schadenshöhe?
Nein, die Strafe ist relativ milde. Dies ergibt sich zum einen schon daraus, dass die Tat „nur“ durch Unterlassen begangen wurde und die Höchststrafe daher schon gemäß § 13 Abs. 2 und § 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB um ein Viertel sinkt. Zudem ist eine erhebliche Mitschuld des Geschädigten (des Staates) anzurechnen.
Ohne diese Faktoren wäre angesichts des erheblichen Schadens eine mehrjährige Freiheitsstrafe durchaus im Bereich des Möglichen gewesen. Dies erkennt man auch daran, dass hier das Schöffengericht (Aktenzeichen „Ls“) urteilte, das bei Vergehen nur zuständig ist, wenn mehr als zwei Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten sind (§ 25 Nr. 2 StPO).
Wäre sie bei Schadenswiedergutmachung straffrei ausgegangen?
Allerdings wird die Wiedergutmachung bei der Strafzumessung berücksichtigt.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.03.2016, 1 (3) Ss 163/15
Ein Mann hatte sich in einen Video-Chatroom eingeloggt, in dem man einen Live-Stream von der eigenen Webcam an die anderen Benutzer übertragen konnte. Er richtete die Webcam auf seine nackten Genitalien und nahm sexuelle Handlungen an sich vor.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe musste in (vorerst) letzter Instanz darüber befinden, ob er sich dadurch strafbar gemacht hat. Dabei war grundsätzlich an verschiedene Strafnormen zu denken:
- § 183 StGB stellt exhibitionistische Handlungen unter Strafe, durch die ein Mann eine andere Person belästigt. Dieser Paragraph schied jedoch schon allein deshalb aus, weil er die gleichzeitige räumliche Anwesenheit von Täter und Opfer voraussetzt. Exhibitionismus über Fernkommunikationsmittel wie das Internet ist nicht erfasst.
- § 184d verbietet das „Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien“. Allerdings kann die Person, die diese Inhalte zugänglich macht, stets nur der Betreiber des Medienangebots sein, also der Inhaber oder verantwortliche Programmgestalter. Wer ein fremdes Medium verwendet wie hier der Benutzer den Chat, ist von der Strafnorm nicht erfasst. Denn dieser kann nicht „auf die Dauer und die Modalitäten der Internet-Ausstrahlung Einfluss zu nehmen“, hatte also keine Tatherrschaft.
- Eine Beihilfe zu § 184d StGB scheidet aus, weil die verantwortlichen Betreiber des Chats keinen Vorsatz bzgl. der Verbreitung des Videos hatten. Eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat ist aber notwendig, damit man sich überhaupt der Beihilfe schuldig machen kann. Hier haben der Betreiber bzw. die von ihm beauftragten Moderatoren den Benutzer sofort gesperrt und damit die Übertragung unterbrochen.
- Wenn der Täter der Meinung war, der Chatbetreiber würde ihn gewähren lassen, wäre noch an eine vesuchte Beihilfe zu denken. Diese ist aber gemäß § 30 Abs. 1 StGB ausschließlich bei Verbrechen strafbar, § 184d StGB ist aber nur ein Vergehen./
Die einzige möglicherweise greifende Vorschrift ist nach Ansicht des OLG daher § 183a StGB („Erregung öffentlichen Ärgernisses“):
Wer öffentlich sexuelle Handlungen vornimmt und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 183 mit Strafe bedroht ist.
Davon sind auch sexuelle Handlungen an sich selbst erfasst und eine gleichzeitige Anwesenheit ist nicht notwendig. Das Merkmal der „Öffentlichkeit“ ist auch dann erfüllt, wenn diese nur durch das Internet hergestellt wird. Denn jede beliebige Person konnte sich in diesen Chatroom einloggen, er stand also einem unbegrenzten Publikum offen.
Insoweit hatte der Angeklagte nach den Feststellungen der Instanzgericht auch Vorsatz. Darüber hinaus ist aber auch noch nötig, dass er ein „Ärgernis“ erregen will oder weiß, dass es zu einem Ärgernis kommt. Dieses Ärgernis bedeutet, dass eine andere Person daran Anstoß nehmen wird, dass sie mit den sexuellen Handlungen konfrontiert wird. Dass sich tatsächlich jemand darüber ärgert, ist aber nicht notwendig. Es reicht die bloße Absicht des Täters, auch wenn die Personen, die er ärgern wollte, den Anblick ganz locker nehmen.
Diese subjektive Tatseite hatten die Vorgerichte nicht ausreichend beleuchtet, daher verwies das OLG die Sache an die kleine Strafkammer beim Landgericht zurück.
OLG Hamm, Beschluss vom 26.02.2015, 5 RVs 7/15
Die Angeklagte fühlte sich durch ein Detail eines in der Universitätsbibliothek ausgestellten Kunstwerks in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Auf ihre Beschwerde hin bot ein Universitätsmitarbeiter an, das Bild entsprechend zu überdecken. Dies reicht der Angeklagten aber nicht, vielmehr schnitt sie das beanstandete Detail aus dem Bild heraus.
Das Amtsgericht verurteilte sie wegen Sachbeschädigung (§ 304 StGB) zu einer Geldstrafe, das Landgericht bestätigte das Urteil in der Berufung. Auch das Oberlandesgericht Hamm sah die Sache so wie die Vorinstanzen und verwarf die Revision.
Das Urteil ist im Ergebnis sicher richtig. Eine Sachbeschädigung bleibt eine Sachbeschädigung, ein Angriff auf die Rechtsgüter der Angeklagten, der sie zur Notwehr berechtigen würde, lag wohl nicht vor. Problematisch ist jedoch die Möglichkeit einer Rechtfertigung oder Entschuldigung des Täters aufgrund seiner „Glaubens- und Gewissensentscheidung“. Zwar hat das Gericht dies nicht näher ausgeführt, da die Angeklagte hierauf nicht angewiesen war, weil der Universitätsmitarbeiter selbst für Abhilfe sorgen wollte.
Insofern klingt durchaus an, dass man Rechte anderer verletzen darf, wenn man sich in seinen religiösen Gefühlen beeinträchtigt sieht. Dies würde zum einen bedeuten, dass die objektive Rechtsordnung sich Vorstellungen einzelner unterordnen muss – jeder könnte sich aussuchen, welche Gesetze er als für sich selbst bindend anerkennt und welche seinen Glaubenssätzen widersprechen. Andererseits müsste jeder Bürger jederzeit auf die Gefühle aller anderen Rücksicht nehmen und sicherheitshalber alles unterlassen, was irgendjemanden stören könnte. Es kann nicht sein, dass persönliches Betroffen- und Beleidigtsein sowie individuelle Glaubens- und Wertvorstellungen die Rechte der Menschen noch weiter einschränken. Es ist jedem zuzumuten, dass er Dinge sieht und hört, die ihm zuwider sind. Niemand hat einen Anspruch darauf, dass er von missliebigen Äußerungen anderer verschont bleibt.
AG München, Urteil vom 02.12.2015, Aktenzeichen unbekannt
Auch die Einfuhr von 100 Gramm Crystal Meth kann aufgrund Eigenbedarfs geschehen. Das Amtsgericht München glaubte einem Italiener, dass er diese ganz erhebliche Drogenmenge nicht für den Handel aus der Tschechei in das Bundesgebiet einführte.
Das Urteil sollte man keinesfalls als Freibrief für den Umgang mit Drogen ansehen – denn der Umgang mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge stellt eine schwere Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz dar. Der Besitz wird mit Freiheitsstrafe von 1 bis zu 15 Jahren bestraft (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG), für die Einfuhr beträgt die Mindeststrafe schon zwei Jahre (§ 30 Abs. 1 Nr. 4).
Der Täter im vorliegenden Fall hatte wohl das Glück, dass das Gericht ihm zum einen glaubte, dass er kein Dealer ist und daher einen minder schweren Fall annahm, wodurch die Mindeststrafe auf drei Monate sank. Die Möglichkeit, ganz von Strafe abzusehen, kommt dagegen nur in Betracht, wenn die Drogen sowohl dem Eigenbedarf dienen als auch eine geringe Menge darstellen (§ 29 Abs. 5 BtMG) – bei 100 Gramm Crystal Meth war dies sicher nicht der Fall. Und so kam hier auch eine erhebliche Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten heraus, allerdings zur Bewährung ausgesetzt.
OLG Köln, Beschluss vom 28.09.2015, III-1 RVs 118 / 15
Den Tatbestand des „Schwarzfahrens“ gibt es im Strafgesetzbuch nicht. Vielmehr bezeichnet § 265a StGB ein solches Handeln als „Erschleichen von Leistungen“. Auch in der gesetzlichen Definition des Delikts, also im Tatbestand, wird es für strafbar erklärt, wenn man sich „die Beförderung durch ein Verkehrsmittel erschleicht“.
Dies hat zu der Diskussion geführt, ob eine strafbare Handlung nur gegeben ist, wenn man tatsächlich „schleicht“, also die Beförderung in irgendeiner Form heimlich erlangt. Besonders schlaue Mitbürger haben gemeint, sie seien nicht strafbar, wenn sie einen deutlichen Hinweis mit sich herumtragen, dass sie Schwarzfahrer sind. Dies würde dann zumindest die Strafbarkeit entfallen lassen, auf die Vertragsstrafe von 60 Euro nach den Beförderungsbedingungen wegen ticketlosem Mitfahrens hätte es ohnehin keinen Einfluss, da die AGB den Begriff des „Schleichens“ nicht verwenden.
Das OLG Köln hat nun auch die Verurteilung eines Angeklagten bestätigt, der an seiner Mütze einen Zettel mit der Aufschrift „Ich fahre schwarz“ angebracht hat. Auch hier läge ein Erschleichen vor, da das Einsteigen in den Zug auch mit einem solchen Hinweis noch den Anschein der Ordnungsmäßigkeit mit sich bringt. Den Zettel sehen nämlich zunächst nur die Mitfahrer, die aber weder für die Kontrolle der Tickets zuständig sind noch irgendeine Rolle bei der Erhebung des Fahrpreises spielen. Der Schaffner sieht die Aufschrift dagegen erst, wenn er den Fahrgast kontrolliert, und damit nach Erbringung zumindest eines Teils der Beförderungsleistung.
Schließlich wurde das Erschleichen hier noch mit einem weiterem Argument bejaht: Im Moment des Einsteigens kann noch gar kein Schwarzfahren gegeben sein, da es die Beförderungsbedingungen zulassen, dass der Fahrgast das Ticket an Bord nachlöst. Dies ist zwar in Fernverkehrszügen der Deutschen Bahn (hier: ein ICE) möglich, nicht aber in vielen Regionalzügen, vor allem nicht in S-Bahnen von Nahverkehrsverbünden. Aber auch hier liegt aus den übrigen Gründen ein Erschleichen vor, wie bereits zahlreiche Gerichte festgestellt haben.
OLG Oldenburg, Urteil vom 05.03.2015, 15 EK 1/14
Seit Ende 2011 gibt es nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einen Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Strafverfahrens (§ 199 i.V.m. § 198 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz, GVG). Zuständig hierfür ist in erster Instanz das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das Verfahren stattfand (§ 201 Abs. 1 GVG).
Das OLG Oldenburg hat entschieden, dass für die Berechnung der Dauer der Verfahrenslänge nicht die formelle Eröffnung des Strafverfahrens maßgeblich ist, sondern die Kenntniserlangung des Beschuldigten. Dies ist folgerichtig, da nur so der Tatsache Rechnung getragen wird, dass es nicht die objektive Verfahrensdauer ist, die den Beschuldigten belastet, sondern das Bewusstsein, dass ihm eine strafgerichtliche Verurteilung droht. Diese Dauer der Ungewissheit soll so kurz wie möglich gehalten werden, um den Bürger nicht unnötig zu belasten.
Im vorliegenden Fall betrug die so errechnete Dauer des Ermittlungsverfahrens lediglich zehn Monate. Dies hält sich durchaus im üblichen Rahmen, eine rechtsstaatswidrige Verzögerung lag nicht vor. Daher wurde keine Entschädigung zuerkannt und die Klage abgewiesen.
Im Übrigen ist auch die Länge der Ermittlungen allein noch kein Anhaltspunkt für eine Entschädigung. Notwendig ist vielmehr, dass das Verfahren nicht ordnungsgemäß beschleunigt und zügig geführt wurde. Sind zeitraubende Einzelmaßnahmen wie die Einholung von Gutachten notwendig, wird das Verfahren allein dadurch noch nicht „überlang“.
OLG Nürnberg, Beschluss vom 21.05.2008, 2 St OLG Ss 11/08
In dieser instruktiven Entscheidung hatte sich das OLG mit Rechtsfragen der Strafzumessung auseinanderzusetzen. Der Angeklagte war vom Amtsgericht wegen Diebstahls zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Auf seine Berufung hin bestätigte das Landgericht das Urteil. In der Revisionsinstanz hob das OLG jedoch die Strafzumessung auf und verwies die Sache insoweit an das Landgericht zurück.
Im Einzelnen wurden folgende Fehler erkannt:
- Das LG hat zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass er die gestohlene Sache über längere Zeit in Besitz gehabt hat. Es gehört jedoch zum Tatbestand des Diebstahls, dass der Dieb sich die Sache aneignet.
- Außerdem hätte nicht zu Lasten des Täters berücksichtigt werden dürfen, dass er keine Schadenswiedergutmachung geleistet hat. Eine Entschädigung des Opfers kann lediglich zum Vorteil des Verurteilten gewertet werden. Das Fehlen eines solchen Strafmilderungsgrunds darf sich aber nicht strafschärfend auswirken.
- Außerdem hat der Angeklagte die gestohlenen Maschinen umlackiert und ihre Typenschilder entfernt. Das darf sich aber nicht zu seinem Nachteil auswirken, da es dem Täter nicht anzulasten ist, wenn er Tatspuren beseitigt, um sich selbst zu schützen.
Hinweise für Studenten/Referendare:
Die Entscheidung beinhaltet einige typische Strafzumessungsfehler, die einem in Klausuren immer wieder begegnen. Insbesondere die Abgrenzung zwischen dem Vorliegen erschwerender Tatumstände und dem Nichtvorliegen von Milderungsgründen ist häufig nicht ganz offensichtlich.
Bevor man in die Prüfung der Strafzumessung einsteigt, sollte man stets klarstellen, dass die Strafzumessung Sache des Tatrichters ist und das Revisionsgericht nicht etwa eigene Zumessungserwägungen anstellen darf. Angreifbar ist die Strafzumessung vielmehr nur von Rechts wegen, es müssen also in den Urteilsgründen gesetzeswidrige Erwägungen zu finden sein. Ein Ausgangspunkt hierfür ist § 46 StGB, der aber nur sehr allgemeine Kriterien enthält, die intensiver Auslegung bedürfen.
Eine prozessuale Zusatzfrage könnte noch auf § 354 Abs. 1a StPO zielen, der das weitere Vorgehen bei einer erfolgreichen Strafzumessungsrevision betrifft:
- Satz 1 erlaubt eine Verwerfung der Revision, wenn das Strafmaß trotz der vorliegenden Rechtsfehler angemessen ist.
- Satz 2 gibt dem Gericht die Möglichkeit, das Strafmaß auf Antrag der Staatsanwaltschaft angemessen herabzusetzen.
Beide Vorschriften wurden erst im Jahr 2004 in die StPO eingeführt. Sie stellen eine gewisse Systemwidrigkeit dar, da das Revisionsgericht dadurch, dass es selbst über die „Angemessenheit“ der Strafe entscheiden kann und somit die Strafzumessung übernimmt. Diese Möglichkeiten sollen in erster Linie zur Verfahrensbeschleunigung beitragen, um eine Rückverweisung zu vermeiden. Hierfür bedarf es allerdings eines umfassenden und aktuellen Strafzumessungssachverhalts, der häufig schon deshalb nicht gegeben ist, weil das Revisionsgericht den Angeklagten nicht vor sich sieht und auch keine persönlichen Verhältnisse ermittelt.