OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.12.2015, 1 Ws 546 / 15

Der Täter einer schweren räuberischen Erpressung war zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Nachdem ein erheblicher Teil davon verbüßt war, beantragte er die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung.

Am 14.10.2015 wurde der Termin für die Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg auf den 16.10.2015, 8:30 Uhr gelegt. Der Verteidiger des Verurteilten erhielt die Ladung zu diesem Termin erst, nachdem dieser bereits stattgefunden hatte und war bei der Verhandlung dementsprechend nicht dabei.

Auf die Beschwerde hin hob das Oberlandesgericht Nürnberg dies auf. Die Mitwirkung eines Verteidigers war bei der Entscheidung über die Strafrestaussetzung nicht notwendig. Daher wäre es grundsätzlich die Aufgabe des Verurteilten selbst gewesen, seinen Anwalt zu konktaktieren und ihm den Termin mitzuteilen. Angesichts der äußerst knappen Zeit war ihm dies aber aus dem Gefängnis heraus nicht möglich. Daher hätte das Gericht, um ein faires Verfahren sicher zu stellen, selbst den Verteidiger informieren müssen.

AG Hamburg, Urteil vom 10.03.2009, 256 Cs 2207 Js 262 / 09 („in die Fresse“)

argument-238529_1920Nicht an der Juristerei, sondern an der Politik liegt, dass es gerade in aller Munde ist, jemandem „in die Fresse“ zu hauen. Einer anderen Person etwas „in die Fresse“ anzudrohen, ist in der Regel auch rechtlich nicht besonders interessant. Es sei denn, natürlich, diese Person ist ein Beamter.

Und das war auch beim Urteil des Hamburger Amtsgerichts aus dem Jahr 2009 der Fall. Hier war es so, dass ein Besucher im Gefängnis Fuhlsbüttel ausfällig gegenüber den dortigen Justizvollzugsbeamten wurde. Vorausgegangen war ein Streit darüber, ob er als JVA-Besucher Wechselgeld in der Hosentasche haben durfte und wo er her hatte. Konkret sagte er dann: „Ihr kommt ja auch noch einmal aus der Anstalt und bekommt ihr auf die Fresse! Ja, dann bekommt ihr richtig auf die Fresse!“

Verbalinjurien gegenüber Beamten sind zwar auch nicht anders strafbar als gegenüber sonstigen Menschen, insbesondere gibt es keinen eigenen Tatbestand der Beamtenbeleidigung. Aber die Staatsanwaltschaften legen einen deutlich höheren Verfolgungseifer an den Tag, wenn ein Staatsdiener durch böse Worte angegriffen wird. „AG Hamburg, Urteil vom 10.03.2009, 256 Cs 2207 Js 262 / 09 („in die Fresse“)“ weiterlesen

OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.6.2011, 4 Ss 137 / 11

Einhandmesser gemäß § 42 a Abs. 1 Nr. 3 WaffG sind Messer mit einer einhändig feststellbaren Klinge. Diese müssen es folglich erlauben, die Klinge mit der das Messer führenden Hand aufzuklappen, auszufahren oder auszuschwenken und dann festzustellen.

Solche Messer dürfen nicht in der Öffentlichkeit geführt werden. Hierzu gehört auch das Aufbewahren im Auto.

Etwas anderes gilt nur, wenn ein allgemein anerkanntes Interesse für das Führen § 42a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 WaffG vorliegt. Die Möglichkeit, bei einem Unfall den Sicherheitsgurt durchschneiden zu können, zählt nicht dazu. Das Durchschneiden von Gurten durch Einhandmesser sei weder üblich noch geschichtlich gewachsen und entspräche auch keinem praktischen Bedürfnis, da man den Sicherheitsgurt auch anders durchschneiden könne.

Die von § 42a WaffG verwandten offenen Rechtsbegriffe „berechtigtes Interesse“ (Abs. 2) und „einem allgemein anerkannten Zweck dienen“ (Abs. 3) sind einer rechtssicheren Auslegung zugänglich verstoßen daher nicht gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG).

OLG Köln, Urteil vom 22.11.2016, 1 RVs 210 / 16

key-978208_640Wegen Wuchers macht sich gemäß § 291 StGB strafbar, wer „die Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche eines anderen ausbeutet“.

Ein „Ausbeuten“ wird in der Regel erst angenommen, wenn mindestens das Doppelte des üblichen Preises verlangt wird. Im konkreten Fall hatte ein Schlüsseldienstbetreiber 320 statt der üblichen 130 Euro, also fast das Zweieinhalbfache des normalen Preises verlangt.

Notwendig wäre aber auch noch ein Ausnutzen einer besonderen Lage gewesen. Diese sah die Staatsanwaltschaft in der Tatsache des Ausgesperrtseins – wer einen Schlüsseldienst anruft, tut das eigentlich nie freiwillig, sondern weil er keine andere Möglichkeit sieht.

Dem konnte das Gericht aber nicht folgen. Bei der Beauftragung eines Schlüsseldienstes weiß man, dass das teuer ist. Gegebenenfalls muss man sich also vorher nach den Kosten erkundigen und Preise vergleichen. Ein Wucher sei nur dann anzunehmen, wenn dafür keine Zeit mehr ist, weil ein absoluter Notfall vorliegt und man unbedingt in die Wohnung muss.

Zivilrechtlich bedeutet dies aber nicht, dass der volle Preis auch gezahlt werden muss. Bei einem Werkvertrag muss gemäß § 632 Abs. 2 BGB nur eine vereinbarte Vergütung bezahlt werden. Wenn eine solche Vereinbarung nicht erfolgt ist, sondern der Schlüsseldienst erst danach die Rechnung präsentiert, ist nicht diese bindend, sondern nur der marktübliche Preis.

BVerfG, Beschluss vom 05.11.2016, 2 BvR 6/16

Eine bayerische Justizvollzugsanstalt hatte folgendes angeordnet:

Am 17. Mai 2015 ist an jedem 5. Gefangenen und Sicherungsverwahrten vor der Vorführung zum Besuch, Rechtsanwalt, Notar, Polizei, u.a. eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen. Bei Arrestanten wird bei jeder Vor- und Rückführung eine körperliche Durchsuchung mit vollständiger Entkleidung angeordnet.

JVA_Landsberg_4Handschriftlich wurde auf dieser Anordnung dann noch der Name eines bestimmten Strafgefangenen notiert. Daraufhin war er vor einem Besuchstreffen mit Angehörigen „komplett“ durchsucht worden. Dafür musste er sich vollständig ausziehen, was er nach anfänglicher Weigerung auch tat. Die Durchsuchung endete negativ, es wurde nichts Verbotenes oder Verdächtiges gefunden.

Nach seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde das Vorgehen der Justizvollzugsanstalt bestätigt. Daraufhin legte er Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die Maßnahme verfassungswidrig sei.

Zwar sei eine stichprobenartige Kontrolle (hier: jeder fünfte Gefangene) nach bayerischem Strafvollzugsrecht (Art. 91 BayStVollzG) zulässig und verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden.

Hier wurde jedoch der Name des Gefangenen handschriftlich auf die allgemeine Durchsuchungsanordnung geschrieben. Dadurch wurden die JVA-Beamten quasi verpflichtet, die Durchsuchung an ihm an diesem Tag vorzunehmen, ohne Rücksicht darauf, ob ein Verdacht hinsichtlich dieses Besuchs bestanden hat. Dies verletzt das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ).

BGH, Beschluss vom 11.05.2017, 2 StR 324/14

stop-1131143_640Bei diesem Beschluss des zweiten Strafsenats ging es um die Berechnung von Schmerzensgeld. Das ist insofern bemerkenswert, als normalerweise Schmerzensgeldentscheidungen im Rahmen eines Zivilverfahrens getroffen werden. Das Strafverfahren ist nur für die Bestrafung des Täters durch den Staat da. Wenn das Opfer aber auch noch Entschädigung möchte, muss es den Täter separat vor dem Zivilgericht verklagen.

Hier wurde aber ein sogenanntes Adhäsionsverfahren angestoßen. Dabei wird der zivilrechtliche Teil im Strafverfahren mitverhandelt, um einen schnelleren Abschluss des gesamten Geschehens zu ermöglichen und die Sache nicht „doppelt“ verhandeln zu müssen. Bei vielen Strafrichtern sind Adhäsionsverfahren eher unbeliebt, weil sie sich mit einem neuen Rechtsgebiet auseinandersetzen müssen. Sie wissen aus jahrelanger Erfahrung, wie man eine strafrechtliche Sanktion berechnet; aber mit Schadenersatz und Schmerzensgeld haben sie meistens nicht viel zu tun. Daher werden Adhäsionsanträge häufig als „ungeeignet“ abgewiesen und dem Geschädigten der Zivilrechtsweg nahegelegt.

Hier war es aber nicht so. Das Landgericht hatte den Angeklagten nicht nur wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, sondern dem Opfer auch noch 8000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Da der Verurteilte auch gegen Letzteres die Revision einlegte, musste sich der Bundesgerichtshof damit beschäftigen. Konkret wurde gerügt, dass das Landgericht sich nicht mit den finanziellen Verhältnissen von Täter und Opfer auseinandergesetzt und diese bei der Bemessung des Schmerzensgelds nicht berücksichtigt hat.

Die Strafsenate hatten bisher aber immer verlangt, dass die untergeordneten Gerichte betrachten, wie wohlhabend Täter und Opfer waren, und dies zumindest in gewissem Umfang mitwerten. Aus Sicht eines Strafrichters ist das durchaus logisch. Denn schließlich werden ja auch Geldstrafen nach dem Einkommen des Verurteilten bemessen.

money-1858488_640Aber im Zivilrecht gilt das in aller Regel nicht. Das Schmerzensgeld soll nur die physischen Schemrzen und die psychische Beeinträchtigung ausgleichen. Es erfüllt zwar eine Genugtuungsfunktion, ist aber keine private Sanktion. Darum sind grundsätzlich nur die erlittenen Schäden abzugelten.

Eine Ausnahme besteht nur, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse so unterschiedlich sind, dass genau das der Schädigung ihr besonderes „Gepräge“ gibt. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn eine besonders reiche Person eine arme Person schädigt und der Meinung ist, er könne das Schmerzensgeld ja „aus der Portokasse“ zahlen. Dann gebietet es die Genugtuungsfunktion, dass die Schmerzensgeldhöhe entsprechend angepasst wird und zumindest in gewissem Maße „fühlbar“ wird.

Das funktioniert aber praktisch nur zu Lasten des Täters. Dass umgekehrt ein ärmerer Verurteilter wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse entlastet wird, passiert normalerweise nicht. Und schon allein deswegen konnte man hier ausschließen, dass es einen Rechtsfehler zu Ungunsten des Verurteilten gab.

Trotzdem hat der zweite Strafsenat aber bei den Vereinigten Großen Senaten des Bundesgerichtshofs nachgefragt, wie diese Rechtsfrage denn zu lösen ist. Dieses Gremium besteht aus Richter der Zivil- und der Strafsenate des BGH. Es tritt nur dann zusammen, wenn sich ein Rechtsproblem ergibt, das sowohl zivil- als auch strafrechtliche Bedeutung hat – was natürlich relativ selten der Fall ist. In diesem Verfahren wurde den Strafrichtern eben beigebracht, wie sie eine zivilrechtliche Schmerzensgeldberechnung zu lösen haben.

OLG Hamm, Beschluss vom 30.09.2002, 2 Ss 590 / 02

Bei der Revision des Nebenklägers muss deutlich werden, dass dieser ein zulässiges Ziel verfolgt. Da eine bloße Änderung der Rechtsfolgen kein zulässiges Ziel ist, muss dargelegt werden, warum aufgrund der Tatsachenfeststellungen des Tatgerichts eine Verurteilung wegen eines anderen, ebenfalls die Nebenklage erlaubenden Delikts, zumindest möglich erscheinen.

Hier war der Nebenkläger der Angehörige eines Unfallopfers. Der Angeklagte wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, der Nebenkläger wollte aber eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge erreichen. Dafür hätte er aber darlegen müssen, warum aufgrund der Feststellungen im Urteil eine solche Strafbarkeit wenigstens theoretisch denkbar sei. Das ist ihm nicht gelungen, daher war die Revision schon unzulässig.

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 30.06.2014, JK I Qs 39/14 jug

Der Angeklagte wurde beschuldigt, das Opfer beleidigt und geschlagen zu haben. Das Opfer erklärte deswegen die Anschließung in Form der Nebenklage.

Im Prozess kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Körperverletzung durch Notwehr gerechtfertigt war, weil der Nebenkläger ihn zuerst angegriffen hatte. Der Angeklagte wurde nur wegen Beleidigung verurteilt.

Das Amtsgericht erlegte dem Verurteilten die Kosten der Nebenklage nicht auf, da dies unbillig wäre (§ 472 Abs. 1 Satz 2 StPO). Zwar wurde er wegen eines Delikts gegen den Nebenkläger verurteilt. Da jedoch der Nebenkläger selbst erheblichen Anteil an der Auseinandersetzung hatte, sei es gerechtfertigt, ihm die Kostentragung aufzuerlegen.

BGH, Beschluss vom 20.09.1999, 5 StR 729/98

person-1281651_640Begeht der Messerverkäufer eine strafbare Beihilfe, wenn er einem Mörder das Messer verkauft hat? Die Frage behaupten die Juristen ebenso wie wohl die meisten Normalbürger: Es kommt darauf an.

Wer Messer verkauft, weil das sein Beruf ist, muss sich nicht bei jedem Kunden fragen, ob dieser damit nun Obst schneiden oder seine Frau umbringen will. Wenn dagegen der Kunde explizit nach einem Messer fragt, mit dem man besonders gut Menschen töten kann, dann darf er diesen Kunden sicher nicht mit einem Lächeln auf den Lippen und fachmännischen Hinweisen beraten.

Dazwischen befindet sich eine große Grauzone, in der der Verkäufer gewisse Befürchtungen, aber keine Gewissheit über mögliche illegale Absichten des Käufers hat. Dazu gehört, dass man grundsätzlich sozialadäquate Tätigkeiten wie Handel und Dienstleistungen nicht unter Generalverdacht stellen darf. Daher darf man eine Beihilfe-Strafbarkeit nur unter sehr hohen Voraussetzungen annehmen.

Der BGH sagt es so:

Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein in berufstypischen neutralen Handlungen bestehender Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, daß sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, daß er sich mit seiner Hilfeleistung „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ ließ.

Diese Abgrenzung ist auf dem Papier sehr einleuchtend. Nur in der Praxis haben die Gerichte natürlich erhebliche Schwierigkeiten, die genauen Umstände aus Sicht des Helfenden und seine persönliche Einschätzung der Tatgefahr festzustellen. Daher wird man im Zweifel sicherheitshalber von jeder möglichen Beihilfehandlung Abstand nehmen müssen – was die Aussage des obigen Urteils eigentlich in ihr Gegenteil verkehrt.