LG Berlin, Urteil vom 16.06.2016, 67 S 76 / 16 (Mietminderung wegen Baulärms)

Baulärm gehört zu den Klassikern der Mietmängel und führt häufig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Insbesondere, wenn nicht der Vermieter selbst, sondern ein Nachbar für den Lärm verantwortlich ist, stellt sich oft die Frage, warum der Mieter überhaupt mindern darf.

Das Berliner Landgericht hat sich in seinem Urteil Az. 67 S 76/16 vom 16. Juni 2016 wieder einmal damit auseinandergesetzt:

Stellt Baulärm einen Mangel dar?

Ja, denn durch den Lärm (und zusätzlich, wie in diesem Fall, Erschütterungen und Staubentwicklung in Folge der Bauarbeiten) ist die Tauglichkeit der Wohnung zumindest nicht unerheblich gemindert (§ 536 Abs. 1 BGB).

Der Vermieter hat aber sicher nicht dafür garantiert, dass nirgends in der Gegend gebaut wird.

Das ist unerheblich. Der übliche Standard einer Wohnung ist es, dass keine Baumaßnahmen in unmittelbarer Nähe stattfinden. Dieser Normalstandard gilt als mit dem Mietvertrag schlüssig vereinbart.

Gilt das auch in Großstädten?

Ja, der hier streitgegenständliche Fall spielte ja in Berlin, noch dazu in Berlin-Mitte. Wenngleich die Bautätigkeit in Innenstadtbereichen unter Umständen höher sein mag, sind doch die meisten Wohnungen nicht davon betroffen, somit ändert dies nichts daran, dass der vertraglich vorausgesetzte Standard eben eine ruhige Wohnung ist.

Warum haftet der Vermieter, obwohl er nichts dafür kann, dass ein Nachbar baut?

Der Vermieter haftet nicht im eigentlichen Sinne, § 536 sagt vielmehr, dass sich die Miete stets am tatsächlichen Mietwert der Sache orientieren muss. Ob der Vermieter eine Verminderung der Tauglichkeit zu vertreten hat, spielt keine Rolle. Nur bei Mängeln, die der Mieter selbst herbeigeführt hat, scheidet die Minderung grundsätzlich aus.

Muss ein Mieter nicht damit rechnen, dass es auch einmal laut wird?

Grundsätzlich kann der Mieter darauf vertrauen, dass die Wohnung während der gesamten Mietdauer im vereinbarten Zustand bleibt. Hier war aber die Besonderheit gegeben, dass die Baulücke in der Umgebung erkennbar war. Es war also anzunehmen, dass hier früher oder später ein Haus errichtet würde.

Allerdings sind die Mängelansprüche des Mieters nur ausgeschlossen, wenn er den Mangel kennt (§ 536b Satz 1 BGB) oder er ihn grob fahrlässig übersehen hat (§ 536b Satz 2). Beides lag hier im Ergebnis nicht vor. Das Übersehen einer Baulücke begründet allenfalls leichte Fahrlässigkeit, die für einen Ausschluss nach § 536b nicht ausreicht.

Wie hoch ist die Mietminderung bei Baulärm?

Das lässt sich allgemein nicht sagen, es kommt immer auf die Dauer und Intensität der Arbeiten an. Die Spanne bewegt sich in der Regel zwischen 10 und 25 %.

In diesem Fall wurden ca. 20 % zugesprochen. Allerdings ging es hier auch um „Lärm, Staub und Erschütterungen nicht nur wochentags, sondern zeitweise auch am Wochenende“.

Hätte der Vermieter den Bau unterbinden können?

Wahrscheinlich nicht, darauf kommt es aber auch nicht an, da den Vermieter eben kein Verschulden treffen muss.

In der Regel müssen Nachbarn aber Bauvorhaben hinnehmen, die innerhalb der Immissionsschutz- und anderer Grenzwerte durchgeführt werden.

Bestehen Schadenersatzansprüche des Vermieters gegen den Nachbarn?

Normalerweise nicht, da dieser rechtmäßig gehandelt hat. Für rechtmäßiges Handeln muss in aller Regel kein Schadenersatz geleistet werden. Es gibt keine Anspruchsgrundlage für einen Regress.

Wie kann ein Vermieter eine solche Mietminderung im Vorhinein verhindern?

Wenn sich konkrete Baumaßnahmen bereits absehen lassen, können diese in den Mietvertrag aufgenommen werden. Damit wird die Beschaffenheit der Wohnung vertraglich vereinbart, wenn dann tatsächlich gebaut wird, weicht dieser Zustand nicht vom vereinbarten Zustand der Wohnung ab, ein Mangel ist also nicht gegeben.

Allerdings bestehen hierfür enge Grenzen. Denn gemäß § 536 Abs. 4 BGB kann die Mietminderung nicht ausgeschlossen werden. Würde also im Vertrag stehen, dass in der ganzen Nachbarschaft gebaut wird und daher immer mit Lärm zu rechnen ist, so wäre dies ziemlich sicher ungültig, da es wie ein Ausschluss des Mietminderungsrechts wirken würde.

LG Tübingen, Beschluss vom 16.09.2016, 5 T 232 / 16

stamp-867744_640Das Landgericht Tübingen, genauer: dessen 5. Zivilkammer, ist bekannt dafür, eine äußerst bürgerfreundliche Rechtsprechung in Vollstreckungsverfahren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verfolgen. Es hat bereits zahlreiche Vollstreckungen durch den Beitragsservice (früher GEZ) für unzulässig erklärt. Vor dem BGH hatten diese Urteile jedoch allesamt keinen Bestand.

Nun hat das LG Tübingen wieder zugeschlagen. Im Beschluss 5 T 232/16 vom 16. September 2016 wurde das Vollstreckungsersuchen des SWR für unzulässig erklärt. Begründet wird diese Entscheidung sehr gründlich und mit vielerlei Gesichtspunkten:

  • Zunächst geht das Gericht auf die Rechtsbeschwerdeentscheidung des BGH ein, mit dem die letzte bedeutende Entscheidung des LG aufgehoben wurde: Man kann einen gewissen Anflug von Ironie zwischen den Zeilen wohl nicht ganz leugnen, wenn das LG nun explizit ausführt, dass der Bescheid die ganzen formellen Anforderungen, die es zuletzt bestritten hat, nun doch erfüllt (Abschnitt IV., Ziffern 2 bis 5).
  • Bemängelt wird dann jedoch in Ziffer 6, dass die Zustellung des Vollstreckungstitels nicht nachgewiesen ist. Der Beitragspflichtige bestreitet den Zugang, die Rundfunkanstalt konnte keinen Beleg dafür liefern, dass der Brief ihn doch erreicht hat. Die Zustellungsfiktionen des Verwaltungsrechts sind jedoch nach baden-württembergischen Landesrecht nicht auf die Tätigkeit des SWR anwendbar.
  • Richtig interessant wird die Entscheidung aber in Ziffer 7. Der SWR sei keine Behörde, wie aus den folgenden elf Unterpunkten ersichtlich sei:
    • Der SWR bezeichnet sich selbst als Unternehmen, nicht als Behörde.
    • Der SWR handelt auch wie ein Unternehmen.
    • Die Gehälter der Intendanten übersteigen die eines normalen Behördenleiters, auch das öffentliche Besoldungsrecht gilt nicht.
    • Die Tätigkeit wird nicht vom öffentlichen Dienst im Sinne des Landesverfassungsrechts ausgeübt.
    • Öffentliche Vergabevorschriften werden nicht eingehalten, die Bezahlung freier Mitarbeiter entspricht nicht dem öffentlichen Dienst.
    • Der SWR wird gewerblich tätig, weil er Sendezeiten verkauft und über Sponsoring und Produktplatzierung Gelder einnimmt.
    • In den Beitragsrechnungen bezeichnet sich der SWR nicht als Behörde.
    • Der SWR erlässt keine Verwaltungsakte, sondern versendet Rechnungen.
    • Die Tilgungsbestimmungen in der Satzung des SWR (jede Zahlung wird immer auf die älteste Rechnung angerechnet) beziehen sich auf das BGB, nicht auf die Abgabenordnung. Der Effekt dieser Tilgungsbestimmung (Zahlungen werden zuerst mit Mahngebühren, nicht mit der Beitragsschuld verrechnet) führt dazu, dass ein lebenslanges Vollstreckungsverfahren – höchst theoretisch – denkbar ist; eine Behörde würde dies nicht in Kauf nehmen.
    • Der SWR unterscheidet sich nicht von Privatsendern. Daher ist sein Status als Vollstreckungsbehörde höchst zweifelhaft.
    • Der Rundfunkveranstalter ist Träger des Grundrechts der Rundfunkfreiheit. Behörden sind aber gerade nicht grundrechtsfähig, sondern grundrechtsverpflichtet.
  • Auf die Frage, ob die Rundfunkgebühr eine Steuer ist (Abschnitt V.) kam es somit nicht mehr an und war nicht zu entscheiden, das Gericht stellt aber auch dieses Problem in den Raum.
  • Nicht entschieden hat das Gericht also über die materielle Berechtigung des Beitrags (Abschnitt VII.). Es ging nur um die Frage, ob die Vollstreckung in dieser Art und Weise zulässig ist.
  • Schließlich weist der Richter auch noch darauf hin, dass er eine Mindermeinung vertritt und die Rechtsprechung anderer Auffassung ist (Abschnitt VIII.). Da er zudem die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen hat (Abschnitt VI.) ist davon auszugehen, dass dieser in letzter Instanz auch die hier vorliegende Entscheidung aufheben wird.

Bewertung:

Es handelt sich – wie wir es von der fünften Tübinger Zivilkammer gewohnt sind – um eine neuerliche juristische Widerstandstat. Sie ist sehr gut begründet und zumindest im Ergebnis nachvollziehbar. Dass sich der BGH von den dargebrachten Argumenten überzeugen lassen wird und den Rundfunkbeitrag formell oder gar materiell kippt, wird man aber nicht erwarten dürfen.

Weitere Fragen und Antworten zu dieser Entscheidung finden Sie auf jura-medial.de.

BGH, Beschluss vom 11. Juni 2015, I ZB 64/14

law-1063249_640Das Landgericht Tübingen hatte eine vielbeachtete Entscheidung (Beschluss vom 19. Mai 2014, 5 T 81/14) gefällt, die vielen Kritikern eines durch Zwangsgebühren finanzierten Urteils Mut machte. Es untersagte die Zwangsvollstreckung eines Vollstreckungsersuchens des Südwestrundfunks (SWR) wegen folgender Mängel:

  • Nichterkennbarkeit des Gläubigers
  • Nichterkennbarkeit der Vollstreckungsbehörde
  • Fehlen von Dienstsiegel und Unterschrift des Behördenleiters oder eines Vermerks über die automatisierte Erstellung
  • unzureichende Bezeichnung des zu vollstreckenden Verwaltungsakts

Der BGH hat auf die Rechtsbeschwerde des SWR den Beschluss des LG Tübingen aufgehoben, das Vollstreckungsersuchen als für rechtsgültig erklärt. Den vom Landgericht festgestellten Mängeln stellt der Bundesgerichtshof Folgendes entgegen:

  • Nichterkennbarkeit des Gläubigers: Es ist erkennbar, dass Gläubiger die Rundfunkanstalt ist und nicht der Beitragsservice (früher: GEZ), der nur das Inkasso übernimmt. Dieser Beitragsservice ist nicht rechtsfähig, könnte also selbst gar nicht Gläubiger sein. Wer diese Konstellation kennt, könne keinen Zweifel an der Gläubigerschaft haben.
  • Nichterkennbarkeit der Vollstreckungsbehörde: Eine ausdrückliche Angabe der Vollstreckungsbehörde ist nicht erforderlich. Auch diese ergibt sich aus den Umständen des Bescheids.
  • Fehlen von Dienstsiegel und Unterschrift des Behördenleiters oder eines Vermerks über die automatisierte Erstellung: Siegel und Unterschrift sind nicht notwendig, da der Bescheid automatisiert erstellt wurde (§ 15a Abs. 4 Satz 4 des baden-württembergischen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes, identisch mit § 37 Abs. 5 Satz 1 VwVfG). Entscheidend ist hierfür nur die tatsächliche Methode der Erstellung, ein zusätzlicher Hinweis darauf ist nicht erforderlich. Indizien dafür, dies sei für den Adressaten nicht ersichtlich und er könne das Schreiben wegen der fehlenden Unterschrift für einen bloßen Entwurf halten, gibt es keine.
  • unzureichende Bezeichnung des zu vollstreckenden Verwaltungsakts: Durch die Angabe der vollstreckenden Behörde (siehe oben), des Aktenzeichens und aller Einzelposten wie Rundfunkbeiträge für bestimmte Zeiträume, Säumniszuschläge und Mahngebühren wird ersichtlich, was vollstreckt werden soll. Da der Rundfunkbeitrag nicht durch den Bescheid, sondern schon durch das Gesetz entsteht, bedarf es auch insoweit keiner Angabe eine Verwaltungsakts.

Das Urteil des BGH ist als solches wohl hinzunehmen. Allerdings erscheint es teilweise schon sehr großzügig, wie die Richter über formelle Mängel hinweggehen. Ob ein privater Gläubiger beim Verstoß gegen Formvorschriften auch so nachsichtig behandelt würde, ist äußerst fraglich.

Andererseits waren die Hoffnungen, die in den Tübinger Beschluss gesetzt wurden, auch übertrieben. Sogar, wenn dieser rechtskräftig geworden wäre, wäre es für die Rundfunkanstalten und den Beitragsservice ein leichtes gewesen, ihre Formschreiben entsprechend anzupassen und alle formalen Vorschriften zu erfüllen. Will man die Rundfunkgebühren gerichtlich kippen, dann eignet sich das Vollstreckungsverfahren ohnehin nicht.

BGH, Beschluss vom 06.07.2016, XII ZB 61/16

Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten sind mittlerweile in weiten Teilen der Bevölkerung bekannt und werden von immer mehr Menschen – trotz des verständlichen Unwillens, sich mit dem eigenen Tod oder schwerster Krankheit auseinanderzusetzen – errichtet. Der BGH hat nun in einem bedeutenden Beschluss sehr hohe Anforderungen an diese Schriftstücke gesetzt, die für jeden ein Anlass dafür sein sollten, die eigenen Verfügungen zu überprüfen.

Was sind Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht?

Die Patientenverfügung (§ 1901a BGB) legt fest, welche Untersuchungen, Heilbehandlungen und ärztlichen Eingriffe eine Person mit sich machen lassen will. Sie ist dann relevant, wenn die Person selbst nicht mehr einwilligungsfähig ist, also bspw. bewusstlos ist oder im Koma liegt.

Die Vorsorgevollmacht ist zunächst nur eine ganz allgemeine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung (§ 164 BGB), die dem Bevollmächtigten erlaubt, im Namen des Vertretenen zu handeln. Dadurch wird sichergestellt, dass die Interessen einer Person auch dann gewahrt werden, wenn diese selbst nicht mehr für sich handeln kann. Zur Vorsorgevollmacht wird sie dadurch, dass auch die Entscheidungsbefugnis bzgl. Untersuchungen, Heilbehandlungen und ärztlicher Eingriffe umfasst ist (§ 1904 Abs. 5). Auch der Bevollmächtigte darf aber nicht völlig frei entscheiden, sondern muss den Willen des Betroffenen umsetzen (§ 1904 Abs. 3).

Worum ging es in dem Fall?

Eine Frau hatte nach einem Schlaganfall und weiteren Erkrankungen schwerste Gehirnschäden davongetragen und wurde in einem Pflegeheim künstlich ernährt. Sie hatte zuvor eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht aufgesetzt. In der Vorsorgevollmacht hatte sie eine ihrer Töchter ermächtigt, Gesundheitsentscheidungen für sie zu treffen. Diese wollte die künstliche Ernährung fortsetzen, während die anderen Töchter einen Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen befürworteten, da dieser dem Willen der Mutter entspreche.

Wie muss eine Patientenverfügung nun formuliert sein?

Nach Ansicht des BGH muss die Verfügung ausdrücklich die Einwilligung oder die Nichteinwilligung in ganz bestimmte Maßnahmen umfassen. Nur dann handelt es sich um eine konkrete Behandlungsentscheidung, die sich ärztlich umsetzen lässt. Nicht ausreichend war dagegen die Formulierung der betroffenen Frau, lebensverlängernde Maßnahmen zu unterlassen, wenn sie sich im Sterbeprozess befindet, das Bewusstsein nicht wiedererlangen wird, ein schwerer Gehirnschaden zurückbleibt oder lebenswichtige Körperfunktionen dauerhaft ausfallen.

Die allgemeine Formulierung, „lebenserhaltende“ oder „lebensverlängernde“ Maßnahmen zu wünschen, ist also zu unbestimmt. Vielmehr müssen medizinische Maßnahmen namentlich genannt werden, z.B. künstliche Ernährung, Beatmung usw.

Muss eine Patientenverfügung bestimmte Krankheiten einzeln behandeln?

Verpflichtend ist dies sicher nicht, aber natürlich möglich. Dazu raten auch einige Juristen, wir halten es allerdings für kontraproduktiv. Die Zahl möglicher Krankheitsbilder ist sehr groß und normalerweise weiß man nicht, für welche genau man vorsorgen sollte. Sind in der Verfügung dann nur einzelne Krankheiten genannt, ist nicht klar, ob die getroffenen Regelungen nur hierfür gelten sollen oder verallgemeinert werden können. Insofern erscheint es sinnvoller, seine Entscheidungen für bestimmte Symptome und Prognosen zu formulieren.

Wie muss eine Vorsorgevollmacht nun formuliert sein?

In der Vollmacht muss klar zum Ausdruck kommen, dass dem Bevollmächtigten eine umfassende Entscheidungsbefugnis eingeräumt wird, gerade für Fälle, in denen es um Leben und Tod geht. Ansonsten ist nicht klar, dass der Wille des Bevollmächtigten gerade auch diese besonders bedeutenden Entscheidungen umfassen soll.

Wenn man – wie meistens – will, dass der Bevollmächtigte eine eigene Entscheidung angesichts der medizinischen Aussichten trifft, muss dies ebenfalls klar aus der Vollmacht hervorgehen. Wird ihm eine bloße Mitsprache eingeräumt, reicht das nicht aus.

Was gilt ohne Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht?

In diesem Fall ist auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen abzustellen, insbesondere auf „frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen“ (§ 1901a Abs. 2 Satz 3 BGB). Auch Patientenverfügungen, die für sich genommen nicht den oben genannten Anforderungen genügen, können hier als Anhaltspunkte herangezogen werden.

Eine solche Mutmaßung ist immer mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Im Zweifel wird man aufgrund der hohen Wertigkeit des menschlichen Lebens stets dazu kommen, sich für lebenserhaltende Maßnahmen zu entscheiden. Wer das nicht oder nicht in allen Fällen will, muss sich ganz besonders um die Rechtswirksamkeit seiner Verfügung kümmern.

Wie kann man nun auf Nummer sicher gehen, was Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht angeht?

Das ist schwierig. Der BGH hat betont, man dürfe an die Formulierung keine „überspannten Anforderungen“ stellen – das sagt der BGH immer, wenn er zumindest sehr hohe Anforderungen verlangt. Zugleich entscheidet der BGH natürlich immer nur den Fall, den vor ihm liegt, und gibt selbst keine „Tipps“ oder erstellt Musterformulare.

Grundsätzlich sollte eine sehr detaillierte Beschreibung der gewollten und nicht gewollten Behandlungen erfolgen. Da die eigenen Wünsche aber normalerweise auch von der konkreten Situation, den Genesungsaussichten und zu befürchtenden Dauerschäden abhängt, ist eine zielgenaue Formulierung einem medizinischen Laien kaum möglich. Die von verschiedenen Stellen ausgegebenen Musterdokumente berücksichtigen das in gewissem Umfang, dieses Urteil und mögliche noch kommende Urteile sind aber unter Umständen nicht berücksichtigt.

Eine gewisse Sicherheit besteht, wenn man diese Dokumente nach medizinischer und rechtlicher Beratung verfasst und von Zeit zu Zeit entsprechend erneuert. Da das Rechtsgebiet aber immer noch im Fluss ist, kann es eine absolute Sicherheit nicht geben.

LG Berlin, Urteil vom 21.04.2016, 9 O 345/15

Der Kläger vermietete eine Eigentumswohnung an seinen Mieter. Die gesamte Verwaltungstätigkeit einschließlich der Überwachung der Mietzahlungen übernahm eine Verwaltungsgesellschaft für ihn.

Ab Anfang 2014 kam der Mieter in Zahlungsverzug, woraufhin ihm die Verwaltungsgesellschaft zweimal eine Mahnung schickte, den Vermieter aber nicht in Kenntnis setzte. Im Februar 2015 kündigte der Verwalter schließlich wegen des Verzugs fristlos. Der Mieter zog zwar – was durchaus bemerkenswert ist – unverzüglich aus, blieb aber insgesamt zwölf Monatsmieten schuldig.

Der Vermieter nahm nun die Verwaltungsgesellschaft auf Schadenersatz für diese Mieten in Anspruch. Die Klage hatte Erfolg, da der Verwalter seine Pflichten verletzt hatte: Er hätte nicht nur mahnen dürfen, sondern zur Vermeidung von Mietausfällen auch zügig – zumindest nach Rücksprache mit dem Vermieter – kündigen müssen. Dann hätte der Vermieter – zumindest nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge – schnell einen neuen, tatsächlich zahlenden Mieter gefunden. Diesen Schaden muss der Verwalter nun ersetzen.

Das Urteil ist absolut richtig, behandelt aber zugleich einen Sonderfall: Es ist nicht üblich, dass der Verwalter berechtigt und verpflichtet ist, sich um die Mietzinszahlung zu kümmern und auch Maßnahmen gegen den Mieter zu ergreifen. Die typische Hausverwaltung ist vielmehr für die Erhaltung der Bausubstanz und laufend anfallende Aufgaben des Wohnungseigentumsgemeinschaft zuständig.

Werden aber darüber hinausgehende Aufgaben vereinbart, handelt es sich um einen Dienstvertrag in Form des entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrags (§ 675 BGB). Die Verletzung von Pflichten hieraus führt zum Schadenersatz gemäß §§ 280 ff.

BGH, Urteil vom 20.01.2016, VIII ZR 26/15

Offizielle Leitsätze:

Ein Stellen von Vertragsbedingungen liegt nicht vor, wenn die Einbeziehung vorformulierter Vertragsbedingungen in einen Vertrag auf einer freien Entscheidung desjenigen beruht, der vom anderen Vertragsteil mit dem Verwendungsvorschlag konfrontiert wird.

Dazu ist es erforderlich, dass er in der Auswahl der in Betracht kommenden Vertragstexte frei ist und insbesondere Gelegenheit erhält, alternativ eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlungen einzubringen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 17. Februar 2010 – VIII ZR 67/09, BGHZ 184, 259). Danach entfällt ein Stellen von Vertragsbedingungen nicht bereits dann, wenn die vorformulierten Vertragsbedingungen dem anderen Vertragsteil mit der Bitte übersandt werden, Anmerkungen oder Änderungswünsche mitzuteilen.

Eine Vertragsstrafenvereinbarung in einem Formularvertrag über die Lieferung von Arzneimitteln, die für Vertragsverletzungen von erheblich unterschiedlichem Gewicht ein und denselben Betrag vorsieht, ist nur wirksam, wenn dieser auch angesichts des typischerweise geringsten Vertragsverstoßes noch angemessen ist (Fortführung von BGH, Urteil vom 7. Mai 1997 – VIII ZR 349/96, NJW 1997, 3233).

Erläuterungen:

Grundsätzlich können die Vertragsparteien vereinbaren, was sie möchten, das Gesetz schränkt sie nur in den seltensten Fällen ein (Privatautonomie). Sind Vertragsklauseln aber als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu beurteilen, unterliegen diese einer eingehenden richterlichen Kontrolle. Um AGB zu sein, müssen die Klauseln nicht im bekannten „Kleingedruckten“ stehen, auch eine anders gestaltete mehrfache Verwendung und sogar die bloße Absicht dazu reichen aus.

Keine AGB sind aber gegeben, wenn die Vorschriften individuell ausgehandelt sind und nicht einseitig von einer Partei „gestellt“ werden (§ 305 Abs. 1 Sätze 1 und 3 BGB). Damit könnte man nun meinen, dass es ausreicht, seine AGB der Gegenseite zu übersenden und dieser die Gelegenheit zu Änderungen und Ergänzungen zu geben. Damit wäre die AGB schon nicht gestellt, jedenfalls aber (sofern man ernsthaft ein eigenes Nachgeben in Erwägung zieht) individuell ausgehandelt.

Erforderlich hierfür ist nach Ansicht des BGH, der Vertragspartner „in der Auswahl der in Betracht kommenden Vertragstexte frei ist und insbesondere Gelegenheit erhält, alternativ eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlungen einzubringen“.

Die bloße Bitte, Anmerkungen oder Änderungswünsche mitzuteilen, lässt die Verwendereigenschaft der Klägerin nicht entfallen. Denn eine solche Bitte ermöglich es dem Gegenüber noch nicht, eigene Alternativvorschläge einzubringen. Vielmehr ändern reine „Wünsche“ noch nichts an der alleinigen Gestaltungsmacht des Verwenders.

Wer also aus der „AGB-Falle“ entkommen will, muss ganz erhebliche Anstrengungen unternehmen. Unter Umständen kann es helfen, eigene Bedingungen als Entwurf gekennzeichnet zu übersenden, diese als bloße Diskussionsgrundlage zu bezeichnen und ausdrücklich um eigene Formulierungen der Gegenseite zu bitten. Dabei muss klar sein, dass man selbst alle Klauseln zur Disposition stellt und bereit ist, darüber zu verhandeln, welche Klausel in welcher Form Bestandteil des Vertrags werden soll. Dass tatsächlich einzelne Klauseln abgeändert wurden, hat noch keine Auswirkungen auf die Frage, ob andere Klauseln des Vertrags nicht doch als gestellt anzusehen sind.

Und auch dann ist es immer noch äußerst unsicher, ob das Gericht dies anerkennt. Jedenfalls bei einem erheblichen wirtschaftlichen Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien oder einer gesetzlich vertypten besonderen Schutzbedürftigkeit (z.B. Mieter/Vermieter oder Arbeitnehmer/Arbeitgeber) dürfte es sehr schwer werden, das Gericht zu überzeugen, dass ein Verhandeln auf Augenhöhe stattfand und die andere Seite nicht faktisch dazu gezwungen war, die Bedingungen ohne größeren Widerspruch zu akzeptieren.

Besonders bei wichtigen Verträgen ist daher stets zu einer Formulierung durch den Rechtsanwalt zu raten, der die mittlerweile umfangreiche AGB-Rechtsprechung beachtet und alle Klauseln darauf überprüft, welcher Inhalt noch zulässig ist und durch welche Gestaltung man die gewünschte Regelung noch am ehesten durchsetzen kann.

OLG München, Beschluss vom 28.04.2016, 29 W 542 / 16

Das Münchner Oberlandesgericht hatte über eine Beschwerde gegen die Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen urheberrechtsverletzender Inhalte zu entscheiden. Dabei hat es äußerst strenge Maßstäbe an die Pflichten von Seitenbetreibern angelegt.

Der genaue Sachverhalt dieses Beschlusses ist schwer zu beurteilen, da das Gericht von der Wiedergabe des Tatbestands abgesehen hat. Es ging wohl darum, dass das beklagte Unternehmen Server betreibt, auf die auch Dateien mit Raubkopien aktueller Kinofilme hochgeladen wurden. Externe Linksammelseiten führten dann alle Einzelteile eines bestimmten Films auf und ermöglichten es, ggf. unter Einsatz entsprechender Software, die Filme komplett kostenlos herunterzuladen. Das Herunterladen ist wahrscheinlich (die Rechtslage ist nicht vollständig geklärt) noch immer legal, das Hochladen und Zurverfügungstellen ist sicher illegal.

Gegen die Aufnahme von Dateien mit bestimmten Filmen, an denen die Klägerin die Rechte wahrnahm, erwirkte diese ein Unterlassungsurteil gegen die Beklagte. Damit wurde es der Beklagten verboten, diese Dateien weiter auf ihre Seiten aufzunehmen; zugleich wurde die Verhängung eines Ordnungsgeldes angedroht, falls die Beklagte dagegen verstößt.

Als die Klägerin einen Verstoß annahm, erwirkte sie beim Landgericht München ein Ordnungsgeld über 150.000 Euro, ersatzweise 30 Tage Haft gegen den Geschäftsführer der Beklagten. Hiergegen legte die Beklagte (im Ordnungsmittelverfahren als „Schuldnerin“ bezeichnet) Beschwerde ein, die aber vom OLG zurückgewiesen wurde.

Begründet wurde die Zurückweisung damit, dass ein Verstoß tatsächlich vorlag.

  • Zum einen hätte die Beklagte den Wortfilter, mit dem sie Dateien mit bestimmten Inhalte automatisch aussortierte, auf Abwandlungen der Filmtitel erstrecken müssen. In Bezug auf den Film „Fack ju Göthe“ (sic) hätte der Filter bspw. auch „naheliegende Abwandlungen wie FujuGo oder FajuGo“ aufnehmen müssen. Hier stellt sich natürlich schon die Frage, ob diese Abwandlungen wirklich derart naheliegend sind – und welche Abwandlungen dann nicht mehr naheliegend sind. Im Ergebnis werden die Überwachungs- und Vorsorgepflichten damit extrem weit ausgedehnt, da die Linktauschszene heir erfahrungsgemäß sehr einfallsreich ist. Angesichts des hier absichtlich falsch geschriebenen Filmtitels ergäben sich dutzende Kombinationsmöglichkeiten: Ob man nun „ju“, „you“, „U“, „yu“ oder „jou“ schreibt, bleibt dem Uploader überlassen.
  • Zudem wäre eine regelmäßige Überprüfung von Linksammelseiten notwendig gewesen, um anhand derer herauszufinden, welche Filme auf die Seiten hochgeladen wurden. Wie häufig dies angesichts der hohen Dynamik des Internets geschehen müsste, ließ das Gericht offen. Seltener als einmal pro Monat sei jedenfalls zu wenig.
  • Mangelndes Verschulden ließ das Gericht ebenfalls nicht gelten. Auch bei sehr hoher Zahl zu prüfender Filme (hier 25.000) müsste der Betreiber die Kontrolle irgendwie bewerkstelligen. Insoweit sei es Pflicht des Unternehmens, seinen Geschäftsbetrieb entsprechend ausstatten, um die Überprüfung im notwendigen Umfang durchzuführen. Recht lapidar meint das Gericht hierzu: „Allerdings werden häufig viele Rechte zahlreicher Rechtsinhaber in denselben Linksammlungen verletzt. Dementsprechend steigt die Zahl der zu prüfenden Linksammlungen regelmäßig nicht im selben Verhältnis wie die Zahl der urheberrechtlich geschützten Werke an, die zu überprüfen sind.“

Auch, wenn sich aus der Entscheidung nicht ganz erschließt, wie weit die Unterlassungspflichten der Beklagten konkret reichen, sind die Anforderung des Landgerichts, die das OLG bestätigt hat, sehr hoch angesetzt. Das Geschäftsmodell der Beklagten dürfte damit weitestgehend erledigt sein, da damit praktisch pausenlos weitere Ordnungsgelder in sechsstelligem Bereich drohen würden.

BGH, Urteil vom 07.07.2015, X ZR 59/13

a) Auch bei einer mit einem Erbverzicht verbundenen Zuwendung ist für deren Qualifikation als Schenkung maßgeblich, ob sich die Vertragsparteien über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung einig sind.

b) Ob eine unentgeltliche Zuwendung gewollt war, ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Maßgebliche Bedeutung kann hierbei neben dem Wortlaut des Vertrages über die Zuwendung und den Erbverzicht den Umständen seines Zustandekommens und seiner Ausgestaltung im Einzelnen zukommen.

c) Der Verzicht auf das Erb- und Pflichtteilsrecht nimmt der Zuwendung jedenfalls insoweit nicht den Charakter der Unentgeltlichkeit, als er nach dem Willen der Vertragsparteien der Ausgleichung der lebzeitigen Zuwendung bei der Erbfolge dienen soll. Ein solcher Wille ist mangels gegenläufiger Anhaltspunkte regelmäßig anzunehmen, wenn die Höhe der Zuwendung in etwa der Erberwartung entspricht oder diese gar übersteigt.