BVerfG, Beschluss vom 03.11.2017, 2 BvR 2135/09 (Verhältnismäßigkeit von Erzwingungshaft)

prison-3357414_1920Kann jemand seine Schulden nicht bezahlen, erfolgt die Zwangsvollstreckung gegen ihn. Dies geschieht (selten) durch die klassische Sachpfändung, häufiger durch Pfändung von Lohn oder Kontoguthaben. Hierfür braucht der Gläubiger in der Regel Informationen des Schuldners, damit er überhaupt weiß, an welchen Arbeitgeber oder welche Bank er sich wenden muss.

Um das zu erreichen, kann eine sogenannte Vermögensauskunft beantragt werden. Dabei muss der Schuldner seine gesamten finanziellen Verhältnisse (und eben auch Lohnansprüche und bestehende Bankkonten) offenlegen und die Richtigkeit an Eides statt versichern. Weigert er sich, kann er verhaftet und so lange inhaftiert werden, bis er die Vermägensauskunft abgibt (sog. Erzwingungshaft).

Im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren wurde der Beschwerdeführer wegen Schulden in Höhe von 1000 Euro im Jahr 2009 in Erzwingungshaft genommen. Auf seinen Eilantrag hin hat das Bundesverfassungsgericht seine Freilassung verfügt. Ganze acht Jahre später hat das BVerfG dann endgültig in der Sache entschieden und seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, also unmittelbar abgewiesen.

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Bedeutung Unterschrift i.A./im Auftrag (BGH, Beschluss vom 23.10.2013, XII ZB 570/12 und BGH, Beschluss vom 07.06.2016, KVZ 53/15)

Eine Unterschrift mit dem Zusatz „im Auftrag“, abgekürzt „i.A.“, begegnet häufig gewissen Bedenken. Heute stellen wir zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vor, in denen es im prozessualen Umfeld darum ging. In beiden Fällen wurde eine Rechtsmittelschrift „i.A.“ unterzeichnet. Entschieden wurde interessanterweise genau konträr.

Zunächst einmal muss man sich überlegen, warum hier überhaupt eine Unterschrift notwendig ist. Für die vorbereitenden Schriftsätze regelt § 130 Nr. 6 ZPO, dass das Dokument unterschrieben sein soll. Dieses „Soll“ ist eigentlich keine zwingende Regelung. Es wird aber so ausgelegt, dass für besonders wichtige Schriftsätze, die den Verfahrensablauf bestimmen (sog. „bestimmende Schriftsätze“) die Unterschrift unbedingt notwendig ist. Ohne Unterschrift ist der Schriftsatz formfehlerhaft und nicht gültig.

Der Sinn einer Unterschrift ist dabei (theoretisch) ein mehrfacher: Die Unterschrift soll einerseits den Entwurf vom endgültigen Schreiben unterscheiden. Andererseits soll auch der Urheber klar identifizierbar sein. Und schließlich wird durch eine Unterschrift auch eine gewisse Verantwortung übernommen.

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VG Saarlouis, Urteil vom 23.12.2015, 6 K 43/15 (Keine Heilung bei Zustellungsverstoß)

heart-159637_1280In diesem Verfahren ging es um die Rechtmäßigkeit eines Rundfunkbeitragsbescheids. Der Kläger aus dem Saarland besaß aus religiösen Gründen keinen Fernseher und wollte sich daher von der Beitragspflicht befreien lassen. Die Landesrundfunkanstalt lehnte diesen Antrag ab. Hiergegen legte der Betroffene Widerspruch ein, den die Landesrundfunkanstalt zurückwies. Die Zusendung des Widerspruchsbescheids geschah durch einfachen Brief per Post. Circa acht Wochen nach Absendung des Widerspruchsbescheids erhob der Kläger dann die Klage zum Verwaltungsgericht Saarlouis.

Seine Befreiung hat der Kläger, soviel sei verraten, nicht durchbekommen. Auch seine religiösen Überzeugungen entbinden ihn nicht von der Zahlungspflicht, so der Richter.

Die interessante Frage in diesem Verfahren war aber, ob die Klage überhaupt zulässig war. Denn eigentlich sagt § 74 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO):

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden.
(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

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BVerfG, Urteil vom 18.07.2018, 1 BvR 1675/16 (14. Rundfunk-Urteil)

radio-1682531_1920Verfahren:

  • Verfassungsbeschwerden mehrerer Privatpersonen.

Vorgeschichte:

  • Zum 01.01.2013 trat eine neue Regelung zur Finanzierung des staatlichen Rundfunks in Kraft.
    Nunmehr ist jeder Inhaber einer Wohnung und jede Betriebsstätte im gewerblichen Bereich beitragspflichtig. Die früheren Gebühren, die an den Besitz eines Empfangsgeräts anknüpften, gab es nun nicht mehr.
  • Beitragspflichtig ist dabei jede einzelne Betriebsstätte und jede einzelne Wohnung.

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BGH, Beschluss vom 14.11.2018, XII ZB 292/16 (BGH-Vorlage zum Verbot von Kinderehen)

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Nach § 1303 BGB müssen Ehepartner mittlerweile volljährig sein. Die frühere Regelung, die ein ausnahmsweises Mindestalter von 16 Jahren vorsah, wurde 2017 geändert.

Nun ist es aber so, dass auf Ausländer auch in Deutschland ausländisches Recht für die Eheschließung anzuwenden ist. Art. 13 Abs. 1 des „Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche“ (EGBGB, auch: BGBEG) besagt:

Die Voraussetzungen der Eheschließung unterliegen für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört.

Damit sind also Ehen nach fremdem Recht auch in Deutschland gültig. Das kann bedeuten, dass auch Ehen, die völlig anderen Wertvorstellungen unterliegen, hier anerkannt werden müssen. Konkret geht es um Vielehen (ein Mann hat mehrere Ehefrauen) sowie um „Kinderehen“, bei denen mindestens ein Ehepartner noch minderjährig ist.

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BVerfG, 11.12.2018, 2 BvE 1/18 (AfD-Klage zur „Grenzöffnung“)

bundestag-769710_1920Die Klagen der AfD-Fraktion im Bundestag gegen das Regierungshandeln in der Asylkrise wurden vom Bundesverfassungsgerichts zurückgewiesen. Die drei Anträge seien unzulässig.

Gerügt wurde durch die Klage in erster Linie ein eigenmächtiges Handeln der Bundesregierung ohne gesetzliche Grundlage und damit auch ohne Genehmigung durch den Bundestag. Dies sei, so die AfD-Fraktion, verfassungswidrig.

Fraktion kann Rechte des ganzen Bundestags wahrnehmen

Dafür steht grundsätzlich das Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG) zur Verfügung, eine Verfahrensart, mit der Verfassungsorgane die Verletzung ihrer Rechte durch andere Verfassungsorgane geltend machen können. Dabei kann auch eine Fraktion Rechte des gesamten Bundestags wahrnehmen.

Zu einer Sachentscheidung darüber, ob die faktische Grenzöffnung durch die Bundesregierung ab dem Jahr 2015 verfassungskonform war, kam es nicht, da das Bundesverfassungsgericht schon die Zulässigkeit der Anträge verneinte. Das bedeutet, dass die Richter davon ausgingen dass das erstrebte Ziel in diesem Verfahren gar nicht erreicht werden konnte. Anders gesagt, für diese Art von Anträgen ist das Organstreitverfahren nicht da.

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BVerfG, Urteil vom 11.09.2007, 1 BvR 2270/05 (12. Rundfunk-Urteil)

save-1720971_1920Verfahren:

  • Verfassungsbeschwerden aller Rundfunkanstalten.

Vorgeschichte:

  • Die Rundfunkanstalten beantragten für die Jahre 2005 bis 2008 einen Finanzbedarf, der eine Erhöhung der Rundfunkgebühr um 2,01 Euro von 16,15 Euro auf 18,16 Euro vorsah.
  • Die KEF kam dem nur teilweise nach und legte eine Erhöhung um 1,09 Euro auf 17,24 Euro fest.
  • Die Ministerpräsidenten einigten sich um eine Erhöhung von nur noch 88 Cent. Diese Neufassung des Staatsvertrags verabschiedeten auch die Landtage in ihren Zustimmungsgesetzen.

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BayVGH, Urteil vom 12.11.2013, 10 B 12.2078

Wer im Verdacht steht, eine bestimmte Straftat begangen zu haben, kann nach § 81b StPO erkennungsdienstlich behandelt werden. Dabei werden in erster Linie Bilder erstellt und Fingerabdrücke genommen.

Die Frage war nun, was es bedeutet, wenn der Tatverdacht später wegfällt. Nach welchem Zeitpunkt beurteilt sich die Rechtmäßigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung – nach dem Zeitpunkt der Anordnung, der Durchführung oder gerichtlichen Überprüfung?

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich für den Mittelweg entschieden: Demnach ist die erkennungsdienstliche Behandlung dann rechtmäßig, wenn im Zeitpunkt ihrer Vornahme noch ein Tatverdacht besteht. Denn die Notwendigkeit der Aufnahme kann nur in dem Moment beurteilt werden, in dem sie gemacht wird. Anders gesagt: Aufnahmen von einem gerichtlich Freigesprochenen braucht es nicht mehr, da ja nun seine Unschuld feststeht. Wird die Unschuld aber erst später festgestellt, war die Maßnahme trotzdem rechtmäßig.

BVerfG, Urteil vom 17.02.1998, 1 BvF 1/91 (11. Rundfunk-Urteil)

audience-1866738_1920Verfahren:

  • Normenkontrollantrag
  • Antragsteller: Bundesregierung

Vorgeschichte:

  • Das neue WDR-Gesetz, das Rundfunkgesetz Nordrhein-Westfalens und später auch der Rundfunkstaatsvertrag 1991 sahen ein neues Recht auf kostenlose „nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung“ insb. bei Sportveranstaltungen und anderen Großereignissen vor.
  • Dies sollte auch dann gelten, wenn die Übertragungsrechte für die Gesamtverstaltung exklusiv an Privatsender verkauft wurden.

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